Zeitschrift für Sprungkraft und Leuchtstoff

Septum Non Datur

Annihilatorischer Tremor im Duktus des Chansons. Das Ich als unangenehmes Geräusch. Das Wir als orchestraler Wohlklang. Heute in der Mittagssonne werden Wissenschaftler mit Röntgenstrahlen Streichinstrumente stimmen. Wir stellen sie hierzu in einen kalten Raum und beobachten durch das Fenster, wie sich die Schnecken drehen, ohne dass jemand berührte. Die nonmusikalische Geisteswissenschaft. Der erkältete Arzt. Wir verstehen Suche nicht als einen Prozess, sondern als ein Ding, als eine Art geographische Gegebenheit. Ich habe mich in einen Vulkanausbruch verliebt.

Die Animation der Welt durch die Animation des Menschen. Die Kolorierung von Zeug. Die Koordination sämtlicher menschlicher Augenbewegungen durch einen Großrechner in einem Methansee des Marsmondes Erde. Man bewegt die Bestandteile des eigenen Körpers mit Hilfe von Telekinese, von Teleportation von Befehlen in der Kurzdistanz. Man befindet sich in einem wohlfeil definierten Raum. Die Gedanken verwelken, sie wollten niemals Blumen sein. Wir brauchen keine Münder mehr. Unsere Zungen sind zu den Regenwürmern gegangen.

Wir müssen auf die Toilette. Wir müssen so vieles. Hier entlang. Der Begriff der Person ist innerhalb einer Schizophrenifikation der Modellzeit aufzulösen. Die Prismatisierung von Form und Inhalt im Nebel einer gesellschaftlichen Relevanz. Aus der Vogelperspektive des negativ definierten Egozentrismus verkümmern die Einzelteile unserer Phantasie in den Linoleumfackeln der Sprache. Eine Sprache kann mit ihrer eigenen Sprache nicht verschwiegen werden. Ein uneheliches Kind schon. In Deckung! Wir sind für die musikalische Verknüpfung von Aussagen. Wir sprechen uns dafür aus.

Wir brauchen ein semantisches Alternativkonstrukt zum Konzept Sinn. Wir sind für die Konstruktion einer Hierarchie verschiedener Widerspruchsklassen, Widerspruchsstrukturen, um die Fehlbildungen der nicht zweckrationalen Intelligenz vollständig zu ignorieren. Wir enthalten uns. Die Mathematik fliegt. Die argumentative Operation wird von der Artikulation eines Bewusstseinszustandes abgelöst. Oder eines halben mit zwei Würfeln Rohrzucker. Wir dürfen nicht mehr zwischen Einzeldingen unterscheiden. Wir dürfen uns jetzt küssen. Es gibt uns, so wie es das Obst gibt. Gehen Sie in einen Supermarkt und Sie finden chiffriert alle Variablen und Operatoren, die Sie brauchen um eine Formel für die Wahrscheinlichkeit der Existenz des Planeten Erde zu errechnen.

Kunst ist Schnulli. Der Student glaubt dem Professor. Die Auflösung des Ichs in der Tätigkeit hat die Unmöglichkeit zur Unterscheidung von Tätigkeiten mit sich gebracht. Wir feiern die Ganzheit. Das Plus tanzt nicht mehr mit dem Minus. Es weiß seit heute, dass es addiert. Wer einen Namen hat, weiß wie er sich im Selbstgespräch anzureden hat. Wer Selbstgespräche führt, ist bestens informiert. Wir - das sind langjährig erfahrene Berater aus allen erdenklichen Bereichen. Wir zeigen Ihnen den Weg zu mehr Effizienz bei Spieleabenden. Ihr Erfolg ist unser Spiel. Der Alkohol kommunikativer Elektrik isoliert niemanden mehr vor Feierabend. Es sei den wir arbeiten darauf hin.

In unserer erfahrungsfreien Freizeit kommt es unserem Fehlen jeglicher Urteilskraft entgegen, dass es keine Ereignisse gibt. Wir fahren in den Urlaubstagen zu unseren Lieblingskoordinaten. Mit Sonnenschutzfaktor 17 schützt sich das Bewusstsein vor uns. Der Realist empfängt alle Kanäle, er verpasst nichts mehr. Jetzt wo wir den achtundvierzigtausenddreihundertvierundneunzigsten Todestag der Transzendenz feiern, dürfen wir - datenverarbeitende Wesen plus Schicksal - uns nicht mehr davor scheuen, nur noch homogene und schlüssige Gedankeninhalte zu akzeptieren. Der Wille zur Aussage muss gebrochen werden.

Schlechte Laune ist ein Gebet. Herr im Himmel, gib dieser Busfahrt einen Sinn. Hätten wir ein Bewusstsein, so gäbe es außersprachliche Strukturen, und das wollen meine Eltern nicht. Wo sind unsere Regenjacken? Ich bin frei, weil ich mich in meinen Aufgaben wieder erkennen kann. Ich lagere mich in Identifikationen aus, ich werde dadurch so groß wie Europa.

Wir sind in die freie Totalität des Daseins geworfene Gesteins- und Geistmassen und interessieren uns für Eigenschaften. Das ist nicht weniger als unmoralisch. Das ist unheimlich. Wo sind all die Subjekte hin? Die lithiumfrostige Bohrtiefe unserer Unverstandenheit erfriert im Blautotgrau des Stahlbeckens logozentrischer Tristesse. Wo befindet sich die Amygdala, hat sie sich für diesen Ort entschieden?

Aus welcher Substanz ist der Wille? Ist er magnetisch? Wird der Kleine durchkommen? Wir verkleinern, restringieren uns, wir sind auch nur Menschen. Wir injizieren uns Sinn, wir hängen an der Nadel. Religionsunterricht ist Beschaffungskriminalität. Rationalität ist faktisch Religion. Sollten wir uns nicht das Verstehen abgewöhnen. Sollten wir nicht das Abgewöhnen verstehen. Verstehen wir das Abgewöhnen-Sollen. Von Freiheit krieg' ich immer schlechte Laune. In dieser außenlosen Zeit freue ich mich über geistige Schranken. Das chaotische Bewusstsein darf uns im Bedarfsfall den Straßenmusiker machen.

Das Vergessen ist die einzige Möglichkeit, von seinem Leben zu erzählen. Im Wald verbrennt etwas Bedeutung. Handlungen sollten zu mindestens siebzig Prozent ästethisch sein. Die Forschungsgesellschaft bewilligt Gelder für die Auffindung und Zerstörung von Autodidakten. Es gibt keine Beziehung zwischen dem Signifikanten und Signifikaten, es gibt nur die Beziehung zwischen Herrchen und Haustier.

Ereignisse sind Kleinkram. Wir trinken einen auf den endlosen Sternenhimmel über uns und den endlosen moralischen Kosmos in uns. Einfach nur sein, Fliegenpilzwein in mich rein. Es ist gut, dass die idealistische Welt nur eine Teilmenge der realistischen ist, denn dann können wir schon mal für nächste Woche mit Einkaufen planen. Glücklicherweise gibt es Konsequenzen, wir können handeln. Sind wir frei? Frind wir sei? Das blanke Handeln. Das blanke Entsetzen.

Die dritte vollständig überarbeitete Auflage meines Ich. Ich wünschte mir schon als kleines Mädchen inkonsistent und unlogisch zu denken. Gestern sind Analyse und Interpretation gestorben. Ich liebe Dich. Es gibt keine Konzepte. Das klingt gut, wir sind interessiert. Der Mensch ist eventuell noch weniger als nur ein Gehirn. Warst du schon einmal in einer Situation? Da wir nicht nachdenken, mögen wir nicht die Eigenschaften einer Sache, sondern die Sache selbst. Jetzt können wir jemanden, der die Sache auch nur teilweise kritisiert, zu den Depressiven sperren.

Zustand eins zum Zeitpunkt zwei. Die graphische Darstellung einer Illusion: das mechanische Selbstportrait. Wir sollten dem Ungeordneten das Attribut des Pathologischen zuschreiben. Das Pathologische wird morgen keine Nostalgie mehr erzeugen können. Wir unterstützen nicht einmal mehr Konzeptkunst. Wir regeln den Verkehr. Wir bringen geschichtliche Beispiele. Wir dürfen (nicht) nachdenken. Die unabgeschlossene Sache als die einzig mögliche. Werde abstrakt. Werde eine Musik. Wann? Es muss so gewesen sein.

Heute bei "Exemplarisch im Ersten": Trash-Literatur

Vor sieben Jahren lief ich mit Schrittgeschwindigkeit an einem Fassadenelement vorbei. Es handelte sich um ein Schaufenster. Es versteht sich von selbst, dass der Abstand zwischen mir und dem Schaufenster nicht der Entfernung Dortmund – Hagen entsprach. Der Leser möge dies zumindest gleich „von selbst“ verstehen, denn ich werde im nächsten Schritt meiner liebevollen (und jetzt schon auf das Äußerste aufregenden) Schilderung eines herzlich heftigen Erlebnisses (in dessen Kenntnis zu kommen der Leser mit großer Spannung herbeifleht) den Inhalt des genannten Warenpräsentationsortes beschreiben, was eben bei einer solchen Entfernung kaum durchzuführen möglich wäre. Es sei denn, man hätte mir davon erzählt. (?)

Das liebe kleine Schaufensterchen gehörte einer Apotheke und zeigte Werbung von Salbe und Tropfen gegen trockene Augen. Eine hochauflösende Nahaufnahme eines geröteten Augenwinkels befand sich auf einer Abbildung eines halben Gesichts – auf der Wange nämlich. Heutzutage geht so etwas, da wird ja alles mit dem Computer gemacht, was ich in diesem Fall sehr hoffte. Oder hatten sie etwa den Augenwinkel aus der nicht gezeigten Gesichtshälfte grauenvoll herausgeschnitten und auf die Backe geklebt? War das der Grund, warum man nur die Hälfte sah? Meine Neugier war geweckt. Aber warum war dann der Ausschnitt des entzündlichen Augenwinkels so sehr viel größer im Vergleich zum übrigen Gesicht? Hatten man hier mit einem Vergrößerungsglas gearbeitet? Was war das eigentlich für ein riesengroßer Kopf? Etwa auch vergrößert? Bei diesen ganzen Fragen vergaß ich fast, dass das ganze auf digitalem Wege … aber dann fiel es mir wieder ein.

Die Gesichtsfläche war sehr aktuell, soll heißen, sehr frisch, also glatt und regelmäßig auf kosmetische Weise betreut und gewartet. Aber diese sich gerötet in Tränensackgegend und Lidhautkante sich zeigenden Reizungen. Bah! Ich musste fast kotzen.

Unverzüglich schoss mir der mitfühlende Gedanke in den Kopf, dass dieser Frau auf der Stelle zu helfen sei (wenn sie noch lebte). Aber mal so richtig! Welch fürchterliche Entstellung dieses makellosen Teints, bei Gott dieses Gesicht bietet doch vor allen Dingen ästhetisch soviel Potential. Welch ärgerlicher Jammer. Ich musste weinen.

Als ich bereits etwa zwei Stunden in das Schaufenster starrend und – ich war gerade noch in der finalen Abschlussphase meiner Trauerarbeit und wollte sie gewissenhaft-ausreichend-sorgfältig beenden, um Spätfolgen auf meine Psyche ausschließen zu können – von Mitarbeitern des Ordnungsamtes geräumt wurde, kochte es in mir auf. Erbost entwurzelte ich kraft meines Gebisses innerhalb von 10 Sekunden etwa zwei Kilogramm Haare aus den Kopfhäuten der Ordnungshüter und rannte in den Geschäftsraum. „Guten Tag, ich habe Kopfschmerzen.“ Ich wirkte außerordentlich beherrscht (aber nicht etwa unterkühlt), wenngleich der anschließende Hustenanfall Verwirrung stiftete. „Geht es wieder, sind Sie sicher, dass es Kopfschmerzen sind.“ Was hatte der Kerl an der Kasse denn, ich hatte mich nur an einer Korkenzieherlocke verschluckt. Nach einem Glas Wasser ging es wieder. „Danke.“ Ich bezahlte und ging.

Die Sache auf dem Polizeirevier verlief später reibungslos, mit den Behörden und Ämtern arbeite ich nach vielen Jahren negativer Erfahrungen einwandfrei zusammen. Ich bezahlte das Bußgeld großspurig in bar – um wenigstens ein bisschen zu provozieren –, beschimpfte vor Verlassen des Grundstücks den Pförtner und dachte nicht an das weitere Prozedere.

Noch in derselben Nacht (etwa ein Uhr) – da mir der schwelende Zorn den Schlaf verbot – suchte ich den Ort des Geschehens auf. Schon bei meiner Ankunft verspürte ich detaillierte Lust, verheerende Vernichtungen an den Fassadenelementen vorzunehmen. Als ich den Nachmittag über das Ganze nochmals durchdacht hatte, machte mich die Erschütterung darüber – ich weiß ehrlich gesagt nicht genau worüber – mehr und mehr rasend. Obwohl ich schon im Bett lag und sogar schon meine Gurkenmaske mit Joghurt trug, verließ ich doch nochmals das Haus. Vor lauter Zorn. Oder vielleicht besser: Ich verließ es vollkommen grundlos.

Ich hatte eine Sprühdose dabei, der Inhalt war schwarzer Lack, und ich wollte das Schaufenster mit Schmierereien versauen. Ich schrieb quer über die Front folgenden Satz: „Die beste Medizin gegen trockene Augen ist immer noch ein Todesfall in der eigenen Familie.“ Ungesehen verschwand ich wieder in der Nacht. Ich hatte einen ausgesprochen erholsamen Schlaf.

Noch am selben Morgen fuhr auf der Autobahn ein Sattelschlepper mit Aluminiumformteilen und erhöhter Geschwindigkeit über einen winzigen giftgrünen Golf. Die Tochter des Apothekers wurde am Donnerstag darauf beerdigt. Meine Unschuld konnte ich mühelos nachweisen.
Aber es tut mir leid, so wie es gelaufen ist.

Ein kleiner Einschub

In diesem kleinen Einschub möchte ich auf meine Internetseite hinweisen: Meine Internetseite.
Sie ist bereits anderthalb Jahre alt, aber fast niemandem bekannt. Aus nicht ganz klaren (psychologischen) Gründen habe ich sie geheim gehalten. Man sagt, ich habe es nicht so sehr mit Selbstbewusstsein. Das Verhältnis des Menschen zu seinen eigenen Produkten ist sowieso u n g l a u b l i c h interessant. Es ist halt schwierig. Mein Kinderarzt sagt, dass manches auf der Seite, etwa die Bilder oder die Klavierstücke, nicht mehr dem Stand meiner Entwicklung entsprächen (und etwa der Zeit entstammen, wo ich noch pure (Funktions-)Lust darüber empfand, mit den Händen nach Gegenständen greifen zu können). Hingegen der Leiter der Palliativstation, in der ich in einem Einzelzimmer im Keller eines 1.000 Meter hohen Fachwerkhauses (mit Reetdach) auf den Tod (ich nehme seine nahe Ankunft mit Humor) warte, lobt beispielsweise die Abstrakte Kurzprosa. Sätze wie "Die Durstige liegt kniend in einer mit Kapseln gefüllten Strumpfhose unter einem Baggerführerschein und kocht" – bei denen man mal die Twitter-Tauglichkeit prüfen sollte, und die ich mir hier ja verkneifen musste, um den Massen zu gefallen – entzücken mich nach wie vor. Kein Wunder, denn ist es genau der Style, mit dem ich, in meiner vorletzten Schaffensperiode, viele Hefte handschriftlich füllte und lose Papiere vollschrieb, die ich dann mit Schnürsenkeln durch die mit Locher gestanzten Löcher verschnürte. Künstlerromantik ganz im Geiste der Filme der Gruppe Arnold Hau, die es mir wohl erlaubte, mit einem ihrer Filmtitel auch diese meine Schaffensphase zu überschreiben: "Der Bayrische Wald durch die Augen eines Arschfickers gesehen." Das ist natürlich nur Spass, denn so etwas würde ich mir nicht gefallen lassen. Ich erwähne es aber, weil ich mir die Filmsammlung der Gruppe (um Robert Gernhardt übrigens) zu Weihnachten wünsche (hoffentlich liest das eine relevante Person). Es gibt sie zum Beispiel bei einem großen Anbieter, den ich jetzt mal, ich hoffe, man versteht, Nil nenne. Nil, jawohl. Ein sehr langer: Fluss. Und ich lasse das letzte l – zwecks noch genauerer Angleichung – nicht weg. Hoffentlich ist es nicht so Kunstfilm-Dünsch wie der Kram von Robert Rauschenberg oder so.

Ich füge als Anekdote hinzu, dass aus dieser sehr musikalischen Zeit auch der Titel dieses Blogs stammt. Mit einem Fräulein, mit dem ich auf vielschichtige Weise emotional und zwischenmenschlich auf höchst erfreuliche Weise wechselseitig verflochten war, nahm ich in Leipzig in einer Bar Platz, deren hintere Thekenwand ein hohes Spirituosen-Regal mit Cocktailglas-Galerie bald (die altdeutsche Form von 'bildete'), und zwar, grün-blau ausgeleuchtet. Ich, der verliebte Witzbold, sagte: "Willkommen im Kabinett Kalium". Wir schrieben das Jahr 2005. Soweit der Mythos.

Wie dem auch sei, besuchen Sie die Internetseite, immer hereinspaziert, machen Sie schon, na los, ich werde sie auch bald aktualisieren, denn in meiner Schublade gibt es mittlerweile mindestens fünf Geschichtelein, die genau richtig für diesen Ort sind. Vielleicht stimmt das mit den Geschichten auch nicht und ich arbeite gerade (und zwar genau in dieser Zeile) an Vers 11.243 eines gigantischen Versepos (der Titel: "Mein Leben" – haha gosh what a crapmove), meinem privaten Gilgamesch sozusagen.

Belanglose Bilder mit belanglosem Beta-Carotin

Auf den folgenden Bildern sind keine Menschen zu sehen - ich sage das, weil das ja etwas ist, was durch Betrachten nicht herauszufinden ist. Oder dachten Sie da anders? Aber sicher doch, glauben Sie mir, bei Fotos niemals. Das ist eben so bei der Fotografie. Wenn man nicht explizit darauf hingewiesen wird, dass Menschen abgebildet sind, dann kann man sie nicht erkennen. Und wenn keine abgebildet sind, dann wird man misstrauisch. So ist der Mensch. Fotografie ist eben, und da werden Sie mir rechtgeben, etwas unglaublich Verbales. Das heißt aber viel umfassender, dass man gar nichts erkennen kann, von dem was auf Fotografien abgebildet ist, wenn nicht zuvor mitgeteilt. Ein Umstand, den sich der menschliche Verstand zunutze macht mit dem Ergebnis, dass ein vollständiges Verstehen des Abgebildeten dessen Beschreibung nicht zur Grundlage hat, sondern bereits ist. Zum Vergrößern die Bilder anklicken.
Stellen Sie sich vor, Sie könnten die Augen nicht einfach öffnen und wieder schließen (sondern viel mehr als nur das). Stellen Sie sich außerdem vor, es gäbe genau zehn verschiedene Arten von Gegenständen. Und Sie könnten demnach die Augen auf zehn verschiedene Arten öffnen und wieder schließen, jedesmal mit dem Resultat, dass sie eben genau eine der zehn Arten von Gegenständen sehen könnten. Und die anderen nicht.
Ich habe heute Folgendes im Sportteil der Zeitung gelesen. Ein Fussballspieler wurde nach seinem Selbstverständnis befragt, wie es ihm im neuen Club ergehe, etc. Er antwortete:
"Wir sind wie graues Haar: Wir fragen uns nach uns und mit Vierzig sind wir plötzlich da."
Geschlossene Augen kann man im Übrigen genauso wenig schließen, wie man offene Augen öffnen kann. Probieren Sie es zu Hause aber bitte nicht aus.
Schlafende Menschen wachen niemals auf, wenn sie von schlafenden Menschen berührt werden. Werden sie von wachen Menschen berührt, wachen sie immer auf. Berührt ein wacher Mensch, der andererseits von einem schlafenden Menschen berührt wird, einen schlafenden Menschen, dann überträgt sich die Herzfrequenz des ersten schlafenden Menschen auf den des zweiten Schlafenden. Meist mit erheblichen Übertragungsfehlern.
Seien Sie ehrlich. Wieviele Bilder haben sie bereits angeklickt, um Sie zu vergrößern. Nein, nein. Ich meine nicht hier. Sondern draußen auf der Straße, in Ihrem Leben. Wie viele Menschen haben Sie in ihrem Leben bereits angeklickt, um sie zu vergrößern? Wie viele wollten das überhaupt? Auf wie viele Menschen haben Sie schon einen Doppelklick ausgeführt. Wie oft wurden Sie mit der rechten Maustaste berührt?
Der obigen Abbildung ist die Theorie der Selbstwahrnehmung nach Fuch zu entnehmen. Es finden (mitnichten) Deformationen statt, ein Vogel wird zu einem Schwarm, in dem er fliegt. Fuch bewertet in seinem Ansatz aber nicht, er sagt nicht, dass Selbstwahrnehmung deformiere, fehlerhaft sei, immer blinde Flecken habe, zu Tunnelblicken führe. Hier liegt genau das Spannende in seinem Ansatz, denn er sagt, dass wir wahrnehmen, aber wir nicht wissen, ob wir das Wahrgenommene sind, oder das Wahrnehmende. Ist aber egal. Führt auch nicht weiter.
"Ich hätte gerne einen zurückhaltenden, aggressiven Schuh, einen Schuh, der mir steht. Einen Schuh mit Größe, einen schnellen Schnuh, einen enormen Schuh. Einen künstlerischen Schuh, einen begabten Schuh, einen Schuh mit Vollmacht, mit Befugnis, einen Schuh mit Direktiven, Postulaten, Ambitionen, Kompetenzen. Einen entschlossenen Schuh, einen muskulösen Schuh, einen Schuh der Tat, der großen Worte, der Träume, einen für die Zukunft, einen stürmischen, akribischen Schuh. Einen moralischen Schuh. Einen umsichtigen, rücksichtslosen, peinlichen Schuh. Einen ungefährlichen, harmlosen, paradoxen: Schuh! Einen Schuh für mich und meinen Mann. Ein neuer Schuh für unser Dorf. Einen aktuellen, einen solchen, den man gerne anzieht, einen atmungsaktiven, chlorfrei gebleichten, cholesterinbewussten, schadstoffarmen Schuh. Ohne künstliche Zusätze, Aromastoffe, Emulgatoren, Katalysatoren, einen Schuh für Millionen, einen Schuh - Ihr Fernsehpfarrer, einen Schuh am Mittag, einen Wer-wird-Schuh? Einen Schuh - Ihr Sportmagazin im Ersten. Einen Freund und Helfer, einen treuen Gefährten, einen modischen, schicken, zeitgemäßen, beschissenen Schuh. Einen Schuh, der brennt, einen intelligenten Schuh, einen zudringlichen, handgreiflichen Schuh, einen einsturzgefährdeten Schuh, einen Schuh ohne Sollbruchstelle. Einen Schuh mit Korrosionsschutz, einen hitzebeständigen Schuh. Einen Schuh an Zentrale. Einen Schuh ohne Mundschutz, ohne Schulabschluss, ohne Vorurteile. Einen herzlichen, warmen, vertrauensvollen, himbeerfarbenen Schuh. Einen Schuh, der in roter Abendglut in der Dämmerung am Horizont im Ozean verschleißt, einen Schuh der gleißend im Zenit steht, von dem man Sonnenbrand bekommt, einen, der ins Tal schießt, das Geröll zersprengt, tosend und brausend. Einen Schuh, der scheu und aufgescheucht aus dem Unterholz aufschreckt."
"Haben wir nicht."

Rückblick auf die weltweiten Gurken-Exzesse der letzten Tage

Was mit Gurken eigentlich los ist: Wir wissen es jetzt. Die Menschen wissen es jetzt. Wir haben es in Erfahrung gebracht: Die Gurke ist besiegt. Am ersten November ging die Pressemitteilung raus. Als nächstes ist der Kohlkopf dran, nein, der war schon. Dann eben der Kürbis und dann der Bergahorn und dann die Spitzmaus. Die Gurke ist nackt, ihr Genom ist entschlüsselt, lasset uns beten: Das siebte sequenzierte Pflanzenerbgut, 100 japanische Wissenschaftler, 350 Millionen Basenpaare. Es ist vorüber. Muss das langweilig gewesen sein. Die Entschlüsselung, das Aufschreiben. Welches Gemüse ist als nächstes dran?

Basenpaare: Der Mensch hat drei Milliarden (das sind 750 Megabyte Information). Er hat es auch weiter gebracht. Entschieden weiter, denn: Wann wird es der ersten Gurke gelingen, das menschliche Erbgut zu entschlüsseln? Nie. Das ist gewiss, das liegt außerhalb der Möglichkeiten des jetzt in neuen Forschungsarbeiten völlig bloß gestellten Gemüses. Die Gurke ist doof, und jetzt ist sie nackt. Der kleinen Gurke ist kalt, und niemand hat sie gern. Im Ruhrgebiet sagt man: Alle Kartoffeln (=Deutsche) sind Opfer. Kartoffeln aufs Maul – Aber Gurke (=Gemüse) geht auch.

Der Kohlkopf ist auch schon entschlüsselt. Das Erbgut von etwa zwei Dutzend Säugetierarten kennt man schon HEUTE. Man kennt auch den Teichmolch ganz gut. Der kleine Teichmolch. Wisst ihr was den Teichmolch zum Versager macht, zur Hassfigur? Er hat mehr Basenpaare als der Mensch. Etwa zehn Mal so viel. Der Mensch hat weniger Adenosin,Thymin – den Rest hab‘ ich vergessen – und Nukleotide oder so, Mann, Verbindungen eben, Basenpaare halt, als das genannte Amphib. Will der uns eigentlich verarschen der kleine scheiß Teichmolch? Glaubt er etwa, er habe was drauf? Die dumme kleine scheiß Kreatur. Schleimige kleine scheiß Sau! Hahaha! Du tust mir so leid ey, du bist so schizo.

Na, wer will denn so despictirlich reden von de kleine grüne Kamerad? Eigentlich gilt: Je größer das Genom, desto komplexer das Lebewesen. Aber es gibt keinen Grund sich aufzuregen. Vor allen auch primitive Organismen, Amöben, Urfarne, solche Sachen haben eine Genomgröße von bis zu einer Billion Basenpaaren. Manche Sequenzen wiederholen sich hier jedoch so oft, manche sind an der Proteinsynthese in einem solchen Grade nicht beteiligt, dass man sie eigentlich nicht mitzählen sollte, wenn man einen fairen Wettkampf will. Unwichtig also hinsichtlich der Vormachtstellung des Menschen im Universum des Lebens.

Und auch die Gurke hat daran nichts geändert. Aber – eine Frage noch: Was hilft uns das jetzt? Können wir jetzt Gurken züchten, die wir per Fernbedienung zum Staubsaugen abkommandieren können? Oder werden uns in Zukunft Gurken unsere Getränke bringen? Oder gibt es bald Gurken in jeder beliebigen Form? Als Sitzkissen, Gurken mit einer lustspendenden Eichel vorne, Gurken als Zahnspangen? Gurken so klein wie Zäpfchen? So groß, dass wir endlich einen weiteren Erdtrabanten erschaffen können?

Ihr wisst genau wovon ich rede: Den Abend, als ich das mit der Gurke erfahren habe, werde ich so schnell nicht vergessen. Mit ein paar Freunden war ich mit Bier und Knabbereien vor dem Fernseher. Ganz zufällig. Normale Freizeit. Der Film war nicht schlecht spannend. Wir saßen alle mit offenen Mündern da und hätten wir nicht gebannt auf den TV-Apparat gestarrt, hätten wir sehen können, wie der Speichel auf unseren Zungen die Salzstangenstücke zersetzt. (Für den Speichel ist es sicherlich neu gewesen, an der freien Luft zu arbeiten).

Plötzlich wurde die Tür aufgestoßen. Meine Freundin kam herein und schrie, wobei sie die Arme hochriss: „Das Genom der Gurke ist entschlüsselt!“ Wow! Boah, wow!

Zeitlupe. Begeisterung ist die fünfte Dimension. Wir – Wir schleuderten aus den Sofasitzen. Wir rissen die Mäuler noch weiter auf, fielen uns in die Arme – wie geil ist das denn – und schrien vor Jubel. Nein, wir wüteten vor Jubel. Wir sprangen, schlugen, stießen – unglaublich: Masseneuphorie von zehntausenden Menschen konzentriert auf ein Wohnzimmer. Unsere Muskeln. Unser Zorn. Die Tränen flossen uns aus den Augen, wir jubelten, schrien – und wurden dabei unmerklich aggressiv. Der Ton des Schreiens heiserer und schmaler, wurde immer monotoner, verwandelte sich – unter unserem Entsetzen – und wurde zu einem Knistern, einem Kribbeln, Mikrowelle, Weißes Rauschen, Störgeräusch, Signal, es war als ob unsere Gehirne nur noch Bilddaten empfingen. Mehrere junge Menschen, im Jubel eingefroren. Das Rauschen wurde unerträglich und plötzlich war es ein Fiepen, ununterbrochen. Sinus Orkan Sinus. Dann setzte es aus und wieder ein, und aus und ein unerträglich lautes Besetztzeichen, wir waren starr vor Schreck und nur noch Masse. Was geschah? Dann entwickelte sich Melodie, wir, dann Rhythmus, wir, dann Freude, so klang das Paradies! Das Paradies. Heimat. Und jetzt wurde die Play-Taste der Zeit wieder gedrückt! Wir dancten zu unserer inneren Stimme. Wir dancten vor Glück. Dance! Grotesk.

Ich weiß nur noch: Später: Die Massen auf den Straßen. Die Krawalle, Exzesse, der öffentliche Sex. Aber ihr wisst es ja auch. Ihr habt ja das gleiche erlebt. Ihr habt euch, ich weiß es Freunde, ihr habt auch Gurkeneintopf gemacht. Ihr wollt es vergessen, aber ihr habt euch Gurkeneintopf gemacht. Gurken abgeleckt, zerschlagen, zu Brei, euch damit eingerieben. Darin gewälzt. War das eine Nacht. Unsere wilden Körper. Unsere Bodys. Unser Verstand.

Der nächste Morgen. Die nächsten Tage. Was ist passiert? Was bringt uns das verfluchte Genom der Gurke? Entschuldigt bitte, es handelt sich um das Genom der G-U-R-K-E. Wisst ihr, was ich meine? Was war denn mit uns los auf den Straßen, was haben wir angerichtet? Was hat uns so ekelhaft aufgegeilt und so in Freudewucherungen versetzt? Wieviele Menschen wurden aus Freude, das muss man sich mal vorstellen, aus Freude verletzt? Wieviele Unschuldige sind für den Rest ihres Lebens verstört? Sollten wir uns nicht schämen für die ganze Sauerei? Und keiner redet darüber! Seid ihr denn von allen guten Geistern...

Außerdem: Wir wissen ja gar nicht, wozu die einzelnen Teile der Kette gut sind, welches Protein wo synthetisiert wird, wir haben 350 Millionen Basenpaare, aufgelistet in mindestens monatelanger Arbeit. Und ihre Funktion ist uns unklar. Es hilft uns doch gar nichts! Wir kennen jetzt 350 Millionen Postleitzahlen aber nicht die entsprechenden Orte. Ist das die Orientierung, in deren Genuss uns die Wissenschaft bringt, weshalb sie unsere Religion ist? Für die Gläubigen: Lasset uns beten, dass es so geil weitergeht. We love that century.

Die Kunstblutlüge

Im folgenden Stück spielen drei Hauptpersonen. Eine, das ist der Vermieter, ihn nenne ich Mr. Nice. Er vermietet zwei Zimmer seiner Wohnung, in der er auch selbst wohnt. Einer der Mitbewohner ist Mr. Happy. Er ist dort vor sechs Wochen eingezogen. Der andere Bewohner, Mr. Lucky, wohnt erst seit kurzem dort. Kurz heißen die dramatis personae: Nice, Happy und Lucky. Ob es die folgende Geschichte so wirklich gibt, ist ungewiss. Übereinstimmungen mit der Wirklichkeit sind zufällig und nicht gewollt. Das heißt, um den winzigen wahrheitsgemäßen Kern wickelte sich ähnlich einer lagenweise aufgetragenen Abdichtung eines Wohnhausfundaments Lüge um Lüge. Zuspitzung gesellte sich zu Zuspitzung und so entstand das feige und niederträchtige Fantasiegebilde eines wahnsinnigen Pseudologen (=zwanghafter Lügner).

Luckys neue Wohnung ist einfach traumhaft! Schon von außen ist sie mit ihrer aufwändigen Stuckfassade ein echter Augenschmaus. Innen verfügt der vor Jahren restaurierte Altbau über die beliebten 3,30 Meter hohen Decken, über einen tollen dunklen Holzboden und über viel, viel Platz. Die Wohnung ist großzügig ausgestattet, Bad und Küche bieten alle erdenkliche Kleinigkeiten, die aus dem Wohnen nicht nur ein Wohnfühlen, sondern auch ein Wohlfühlen machen. Das Bad könnte aus einem Fünf-Sterne-Hotel ausgeschnitten und in diese Wohnung hinein geklebt worden zu sein. Eine riesige Badewanne, ein Spiegel, der die gesamte Wandbreite ausnutzt, schöne weiße Kacheln, eine Toilette und Handtuchhalter machen den Aufenthalt zum unvergesslichen Erlebnis, zu einer Oase der Entspannung beziehungsweise der Erleichterung.

In der Küche findet sich ein schnuckeliger Mini-Geschirrspüler. Lucky wollte ihn sofort ausprobieren und schreien, als er das niedliche Ding gesehen hatte! Im Gegensatz dazu liegt die Wohnung außerdem trotz der zentralen Lage erstaunlich ruhig! Lucky will gar nicht damit angeben, dass die Wohnung quasi zu jeder Tageszeit dunkel ist, vor allen Dingen sein Zimmer, denn die großen, ansehnlichen Bäume gegenüber der schmalen Straße spenden jede Menge kühlen Schatten. Er soll nicht so bescheiden sein, er weiß doch genau, dass das Schicksal ihn in Liebeserklärungen ertränkt. Warum sind die Auserwählten jederzeit so edel?

Bei diesen ganzen Vorzügen ist es leicht verkraftbar, dass jetzt wo es Winter ist, die Heizung abgeschaltet ist. Das klingt schlimmer als es ist, denn Nice war so nett, einige Euro-Paletten in den Keller zu werfen. Mit der praktischen Handkreissäge lassen sich diese dann in handliche Stücke zerkleinern. Die mit verbogenen Nägeln bestückten Abfallreste sind das perfekte Futter für den Kachelofen, der im luxuriösen Wohnzimmer eingerichtet ist. Bei ihrem niedrigen Heizwert verbrennen die Pressspanteile und Holzfetzen nahezu effizient wie trockenes Stroh! Und damit es beim Sägen nicht so laut ist, setzt man sich einfach die netterweise hinterlegten Ohrenschützer auf. Und bevor man etwa Staub in den Atmungsapparat kriegt, öffnet man einfach die kleine Luke zur Straße, die gerade groß genug ist, um über die kleine Treppe die Mülltonnen hinausschieben zu können. Glücklicherweise stört der Lärm dann die ganze Nachbarschaft! Das wurde wirklich alles sehr klug eingerichtet. Und damit man sich nicht verletzt, ist in kluger Vorrausicht das Sägeblatt so stumpf gehalten, dass es sich allzeit im Holz verkantet. So kann man sich natürlich weder den Vorderfuß abtrennen, noch in die Säge stolpern, sollte das Sägeblatt doch einmal unerwartet durch die Palette durchgehen. Ansonsten tritt man kurz und beherzt zu und zertrennt das Holz auf diese Weise. Späne schnellen einem beim Sägen eigentlich kaum in die Augen. Wenn Happy und Lucky zu zweit arbeiten, kann einer beispielsweise mit dem Besen gegen das Werkstück halten, damit es nicht entgleitet. Das gemeinschaftliche Arbeiten stärkt das Zusammengehörigkeitsgefühl und sorgt für die solide Grundlage einer möglichen Freundschaft. Am Ende der leichten Tätigkeit werden die Holzspäne in die Ecke gefegt, wo sie Feuchtigkeit aufnehmen können. Happy und Lucky gehen nach dem Sägen erst einmal in die Wohnküche, wo Lucky seine Bettwäsche dürftig trocknet. Denn, es ist nicht nur so, dass die Scheiben in seinem Zimmer nachts anlaufen, was Lucky natürlich sehr gern mag, denn er will nicht dass Menschen bei ihm ins Zimmer sehen können. Es ist auch so, dass durch das fehlende Heizen das ganze Zimmer feucht ist. Die Wärme des Kamins dringt nicht in die Zimmer. Auch Happy hat ein großes Prachtexemplar von Schimmelpilz bei sich in der Zimmerecke. Und niemand kann verstehen, warum er ihn letzte Woche noch wegkratzen wollte. Den Schimmelpilz kann er nicht hören, denn er lässt die ganze Zeit heimlich den Fön laufen, damit er die Raumtemperatur angenehm regulieren kann. Hoffentlich merkt das Nice nicht.

Nice bewohnt selbst auch eines der verfügbaren Zimmer. Klugerweise hat er einen eigenen Ofen in seinem Zimmer, so dass ihn die fehlende Heizung nicht weiter stört. Nice ist ein sehr netter Mensch. Im freundlichen Eingangsbereich der Wohnküche steht ein geräumiger Korb, in dem eine schier unglaubliche Zahl an Briefen Platz findet. Die meisten sind nicht geöffnet, vor allen Dingen diejenigen, die vom Gerichtsvollzieher stammen. Nice ist auch sehr klug. Er arbeitet als sehr erfolgreicher Fotograf. Er ist oft wochenlang nicht da, weil er in dieser Zeit ausländische Auftraggeber mit seinen hervorragenden Ergebnissen überzeugt. Per Mitfahrgelegenheit nimmt Nice in seinem leistungsstarken Auto Menschen mit über die Grenze. Diese Leute haben sehr viel Glück, und wenn sie selbst eine Zigarettenstange oder Alkohol dabei haben sollten, so müssen sie auf den Preis nochmals zehn Euro drauflegen. Das ist sehr fair von Nice, denn angenommen er hat vier Mitfahrer kann er jetzt selbst nur acht Stangen mitnehmen. Nice erzählte Happy und Lucky neulich, dass als er einer seiner Verflossenen eine Stange verkaufte, sie gemeint hätte, dass sie den beiden eine gut gedeckte Haftpflicht wünsche, falls sie mit dem Ofen Unfug anstellten. Aber da kann nichts passieren, es ist ja nur das Ofenrohr und der obere Bereich des Ofens, die sehr heiß werden. Und der ganze Papiermüll hinter dem Ofen ist ja weit genug weg. Für Sicherheit ist umsichtig gesorgt.

Das Wohnklima ist toll, wenn Nice da ist. Entweder er unterrichtet die beiden Novizen in Lebenserfahrung oder erzählt die tollsten Dinge. Die Kücheninsel hat er beispielsweise zwecks sexueller Tätigkeit auch schon genutzt. Auch von den vielfältigen Einsatzmöglichkeiten der Badewanne hat der Lebemann nur Positives zu berichten. Und dass er vor allen Dingen Happy neidisch macht, wenn er von seiner WG im Nachbarland erzählt, ist klar. Der Vierzigjährige wohnt dort mit drei Mädels Anfang Zwanzig und seiner Freundin und erstere hüpfen morgens in Unterwäsche durch den Flur. „Der Nice weiß zu leben“, sagt Happy und lacht.

Der Happy würde wirklich auch mal wieder gerne ran. Der hat gerade ziemlichen Druck, kein Wunder, er als junger Mann steht ja in vollem Saft. Wie toll das wäre, wenn wir hier Frauen in die Bude holen und dann vor dem Kamin sie mit unserem musikalischen Eros bezirzen könnten. Seine Liebesnot ausgenommen ist der Happy immer gut drauf. „Das geht ab“, trötet und flötet er manchmal in den Raum, und zwar zu hundert Prozent intrinsisch motiviert. Happy pfeift auch den ganzen Tag. Damit trägt er in positiver Weise zu einem lebenswerten Umfeld bei. Wenn er hin und wieder mal uffda uffdada oder ma hat ma Glück, ma hat ma Pech, Mahatma Gandhi singt, ist die Stimmung heiter und ausgelassen. Er ist ein großer Fan des Karneval und wenn Lucky nach Hause kommt, klingt aus seinem Zimmer die Aufzeichnung der genannten Veranstaltung aus einem vergangenen Jahr. Happy ist der Meinung, dass man auf seiner Suche nach dem großen Glück nur den Nippel durch die Lasche ziehen muss, und dass man lachen lernen muss und dass die wirklich genialen Texte so aussehen: Klaus-Hinrich war Bauer, kam niemals zur Ruh, versorgte die Schweine, den Stier und die Oma. Rudi Carell, Lucky, das musst du dir mal vorstellen und das 1978. Einfach genial. Happy hat damit in allen wesentlichen Punkten recht. Happy versteht zu feiern. Am Wochenende hat er fünf Jackie-Cola und drei Kölsch getrunken. Unglaublich, aber wahr: für günstige zwei Euro! „Döb döö döb dödö döb döb döb!“ (Zitat Happy) Möglich durch den Bonusgutschein für die ersten hundert Besucher des Clubs, der an diesem Abend die 99-Cent Party erfolgreich neuauflegte. Und sollte demnächst wieder Coco Jambo aus dem Zimmer tönen, dann lächelt Lucky mit hoher Wahrscheinlichkeit mit.

Die Wohnung liegt in einer Stadt, in der es, vor allen Dingen jetzt im Herbst, sehr viel regnet. Das verleiht ihr aber nur noch eine zusätzlich charmante Note. In der Stadt gibt es sehr viele Hunde. Aber Lucky ist vorsichtig, wenn er durch die Straßen läuft, und so tritt er nirgendswo rein. Wenn er in der Mitte der Straße läuft anstatt den Gehweg zu benutzen ist er immer auf der sicheren Mitte. Wenn Lucky morgens früh aus der Haustür tritt, sorgen die Müllautos mit dem kreisenden orangen Licht für eine effektvolle Begrüßung in der Dunkelheit. Die Stadt in der er wohnt, bietet für jeden Geschmack das Richtige. Auch der an zwischenmenschlichen Feinheiten Interessierte kommt in jeder Hinsicht auf seine Kosten! Als Lucky neulich beispielsweise Richtung Karstadt ging, sich eine Hose zu kaufen, stand plötzlich an einer Telefonzelle ein kleiner Junge, dem zwei dünne Blutrinnen aus der Nase troffen. Er war knapp vor dem Heulen und schluchzte, ob nicht jemand ein Taschentuch hätte. „Seid ihr das gewesen?“, rief Lucky hinüber. Einer der beiden gleichaltrigen Jungs, wir nennen ihn Small, in etwas Entfernung rief, dass es nur Kunstblut sei. Der andere der beiden, Little, war weniger vorlaut und meinte, dass Small es übertrieben hätte und ihm auf die Nase gehauen. Lucky verschenkte seine Taschentücher und lief einfach weiter. Die Hose, die er sich dann kaufte, traute er sich bisher noch nicht mit einem seiner Hemden zu kombinieren.
Wenn Lucky spät abends nach der Arbeit aus dem Hauptbahnhof tritt, erwartet ihn die sogenannte Platte. Hier amüsiert sich die Crème de la Crème, ganz vornehme, geschmackvolle Leute. Sie trinken oft Bier und haben schon Gesichtsverletzungen. Manchmal laufen sie über den Beton und rufen aus dem Alkohol: „Ich hab‘ die Hosen an!“ Da muss Lucky immer ganz furchtbar schmunzeln. Er mag Leute mit einem gesunden Selbstbewusstsein. Er selbst wächst ja schließlich auch gerne an seinen Aufgaben. Er mag Leute, die wissen was sie wollen, wie zum Beispiel Happy, der ihm gestern erzählte: „Das mit dem Federweißer und dem süßen Wein, das habe ich schon immer. Und ich glaube nicht, dass ich später herben oder trockenen Wein trinken werde. Das heißt, ich weiß, dass ich es nicht machen werde. Obwohl es schon so viele Leute gesagt haben. Und das schon bei ganz vielen anderen Dingen. Ich habe einfach meine Meinung zu den Dingen.“

Nice ist ja fast nie da, und so verbringen Lucky und Happy die kalten Abende meist alleine in der Wohnung. Lucky trocknet wahrscheinlich gerade seine Bettwäsche oder presst eine Zitrone aus, denn er ist schrecklich erkältet. Wenn er nachts um drei aufwacht, weil sein Zimmer zu kalt ist, setzt er sich vor den gemütlichen Backofen und stellt ihn bei offener Klappe an. Happy schläft wie ein Stein. Und Nice: um drei Uhr? Möge der Alkohol fließen!

R7c1 – der einzige Coverkandidat

Es ist eigentlich unwichtig und es weiß jeder: Wenn man sich in der heutigen Zeit, auf den Weg macht, vielleicht im Internet oder in einem Buch, etwas zu erfahren, – man will sich zum Beispiel über Lösungsstrategien von Sudokus informieren – dann befindet man sich plötzlich, und sicherlich plötzlicher als man dachte, in einem sogenannten Fachgebiet. Man schüttelt den Kopf und stellt fest, dass die empirische Welt auch an dieser Stelle noch unglaublich viel größer wird. Dass Introspektion jetzt endgültig langweilig geworden ist. Die These ist, dass sich Wissen viral und aggressiv ausdehnt, und im verfügbaren kosmischen Gesamtraum G für das Gefühl immer weniger Spielplatz bleibt. Wie traurig. Die andere These ist, die Wissensmenge war bereits vor Jahrhunderten unüberschaubar. Nur weil uns jetzt mit der historisch nie da gewesenen Verfügbarkeit der Eindruck kommt, dass das Erfahrbare unendlich ist (obwohl es gar nicht unendlich sein dürfte, denn war das nicht eine Eigenschaft, die dem reinen über die Reflexion reflektierenden Geist vorbehalten war, beziehungsweise dem Hass?), heißt das nicht, dass wir nicht alleine dastünden mit diesem Eindruck.

Fachgebiete gab es und gibt es überall: Podologie, Patrologie, Pomologie, Prosopografie, und zu guter Letzt good old Pulmologie. Mich würde interessieren was der Siebzehnjährige zu dieser Kollektion sagt, der im Berufsvorbereitungsjahr steckt, und dessen Vater will, dass er sich auf die Stelle zum Rohrleitungsbauer bei der Gemeinde bewirbt. Egal zum Ersten. Solche Dinge, die gerne und fälschlicherweise mal als gesellschaftliche ‚Widersprüche’ bezeichnet werden sind ja gang und gäbe. Zum Beispiel: Wieviele abgemagerte Hirseenterhelferinnen mit Skorbut und Kolik’ im Benin denken gerade darüber nach, wie man am besten zu breakcore oder dubtechno tanzt? Egal zum Zweiten. Warum sollten das übrigens Widersprüche sein. Es sind maximal Gegensätze. Aber ich kenne mich nicht aus. Bleibe ich also dabei und sage Widersprüche.
Aber sind sie denn wirklich gesellschaftliche? Was passiert denn, wenn ich gerade vom junior consultant zum senior consultant befördert wurde und meine erste Woche im neuen Job mache, und mich, sagen wir, ins Zeug legen muss, während meiner Frau gerade der Darmkrebs diagnostiziert wird? Das heißt, ich habe noch weitere drei, vier Arbeitstage vor mir, bei denen ich mich mit allem Hirn um Zeug (beispielsweise die Verwendung von high capacity Kondensatoren bei der elektronischen Motorsteuerung, bei französischen Autobauern: Bis Samstag 22 Uhr Präsentation) kümmern muss, das mich einfach nicht interessiert, weil ich meine Frau liebe. Ist das nicht mal Entfremdung? Ein krasses Beispiel, aber weniger krass schlicht und einfach alltäglich. Eine die mit Gesellschaft nichts zu tun hat. Und die Entfremdung, über die Marx so gerne spricht. Wir seien von den Produkten und so weiter... darf ich den Gedanken einwerfen, dass Millionen von Menschen froh sind über diese Form der Entfremdung. Es ist ihnen recht, wenn der Kram nach acht Stunden aus ist, und damit nichts weiter zu schaffen ist an diesem Tag. Die wollen gar nichts mit ihrer Arbeit zu tun haben, sondern den Kopf frei haben. Auch wie dem sei. Sind die Widersprüche der Welt, liebe Leute von der Linkspartei (falls ihr denn so denkt, ich hatte einfach Lust euch anzureden) wirklich gesellschaftlich verankert? Oder besser: Sind die gesellschaftlich verankerten geradezu gleichgültig im Vergleich zu denen des Ereignisses? Aber egal zum Dritten und Letzten.
Ein kleines Zitat:

„Der X-Wing ist degeneriert und wird daher als Sashimi bezeichnet. Die Logik ist gleich wie bei einem normalen Finned X-Wing: r7c1 ist der einzige Coverkandidat, der beide Fins sieht, er kann daher gelöscht werden.“

Das kommt davon, wenn man Sudokus löst, aber bei einem gewissen Schwierigkeitsgrad nicht weiter kommt, und sich dann mal systematisch damit beschäftigen will und ins Internet hinein geht, um sich zu informieren. Geradezu irrelevant im Vergleich zu den Keplerschen oder Gossenschen Gesetzen, nicht wahr? Das geht einem ja überall so, egal ob man gerne Wein oder Whiskey trinkt und nachforscht, oder ein Golfschlägerset braucht und Kundenbewertungen durchforstet. Niemals war die Welt so konkret wie heute. Was würden Platon oder Schopenhauer sagen, für die es noch etwas Konkretes und für die alltägliche Lebenswelt Bedeutsames war zu sagen, Vorstellungen seien stets endlich oder auch nicht, wobei alles Reale endlich ist, also alles real ist, und keine Transzendenz da (Vorsicht bei der Abfahrt an den Türen: Willkürliches Beispiel). Oder der Mensch, der in zwei Wochen in Nigeria an einer Goldstaubvergiftung sterben wird? Was sagt der eigentlich so zu meiner neuen Katze?
"Die einen von uns werden eben als r7c1 geboren, und können gelöscht werden, die anderen gar nicht, und wieder andere fahren mit dem Maybach auf der Landstrasse nach Münster." Im Juli 2009 (wenn ich mich nicht irre) übrigens konnte man in den Nachrichten erfahren, dass es jetzt endlich eine Milliarde Hungernde gibt auf der Welt. Endlich. An diesem Abend habe ich beim Dönerladen um die Ecke mal ausnahmsweise mit Schafskäse gegessen (es war übrigens ein Linkshänder-Döner, ich komm’ damit besser zurecht).

Aha, aha. Was bedeutet das jetzt. Ist das jetzt alles Sozialdeterminismus? Sind die beiden folgenden Aussagen also gleichwertig:

1) Die eine stirbt mit 38 an Zungenkrebs, die andere mit 19 an Liebeskummer.

2) Der eine wird Rohrleitungsbauer, und wird sein Leben lang spucken auf das, was der Akademiker Arbeit (er weiß auch nicht, was der mit Entfremdung meint) nennt, der andere betreibt (minder-)qualitative Sozialforschung und verdient mit seinen unter Zwang geschriebenen Abhandlungen das Achtfache.

Sind das zwei verschiedene Formen, Kontexte von Schicksal und nichts weiter? Heißt das also, dass die Politik jetzt gar nicht mehr versuchen soll, Verhältnisse zu verbessern, für die Menschen, um des Menschen wegen auszubalancieren, sondern einfach alles so beibehalten sollte? Wo sie doch so mächtig, alles zu verändern, mit einer einzigen kleinen Handbewegung? Ist. Aber natürlich, Mama. Drauf’ gekackt, sach’ ich jetzt mal. Ich werde es nämlich auch an dieser Stelle pflichtunterbewusst versäumen, einen Zusammenhang herzustellen oder eine konsistente Aussage. Das ist auch gar nicht möglich, bei diesem Wust, in den wir hier hineingeraten sind. Ich halte es mit dem avantgardistischen Theater: Meine Bühnenstücke werden bei halbhoher Gardine vorgetragen, so dass man nur die Beine sieht, oder die Toten, die liegen. Manchmal ragt ein Lindenstock mit hauchzarten Trieben aus dem Orchestergraben und duftet nach dem Süden.

Ich muss doch im Abschluss nochmals unterstreichen, dass die in diesem Text unternommene Parallelisierung von ‚sozialem’ und ‚weltischem’ Schicksal strenggenommen natürlich ein recht großer Kram ist. Aber vielleicht ist das Ziel meiner hier durchgeführten Verwirrung etwas sichtbar. Oder vielleicht riecht auch jemand was? Übrigens hoffe ich nicht verschreckt zu haben, wie es Leute tun, die sagen: „Es sterben hier Menschen an Hodenkrebs und du frisst Crêpe Suzette!“ und glauben damit die Härte der Wirklichkeit begriffen zu haben (wenn es eine solche Härte denn gibt, jedenfalls kann man der W. nicht einmal mit einem Diamanten einen Kratzer zufügen, so dass Mohs-Härte 10 überschritten ist), und also auch eine Rechtfertigung aufweisen, täglich drei Bier zu trinken (und einen Wodka).

Unauthentisches Composing...

ist gar kein Composing, sondern Posing?
Person A sitzt mit geschlossenen Augen auf einem Bürostuhl vor ihrem Rechner. Person A hört Musik. Sie zuckt, sehr schnell, aber rhythmisch. Der Betrachter mag wohl nicht auf Anhieb feststellen, dass hier eine Ordnung vorliegt, denn es ist etwas Komplexes und Akzentuiertes, was sich Person A verabreicht. Fernerhin improvisiert sie darüber: Und so ergibt sich von außen betrachtet das Bild eines ausgewachsenen Tremors. Was auch immer es ist, was da gehört wird: Es sich nicht das Frühstücksradio von Hitradio FFH, das ist klar. Das Mikrofon krabbelt am Hinterkopf entlang, denn der Kopfhörer sitzt verkehrt herum auf ihrem Haupt. Sie hört nämlich mit einem Headset Musik.

Sie hat es mit ihrer Paranoia vor der Gesellschaft so weit gebracht, sich zu schämen vor anderen Leuten mit solchen Dingen. Bei so eher ausgelassenen Sachen und so. Person A zuckt mit den Augenlidern – sie ist nämlich Teil des erlesenen Kreises von Personen, die auch mit diesem kleinen Körperteil tanzen können. Jetzt, wo sie sich auf ihrem Bürostuhl befindet, sind die Augenlider dann und wann ganz still – die Bewegung setzt in den Momenten aus, in denen sie glaubt nicht authentisch zu sein. Wenig später lässt sich Person A von einem solchen Einwand nicht mehr darin stören, auch gesamtkörperlich etwas inniger zu den Ausdrucksmitteln zu greifen, denn sie glaubt seit Jahren nicht mehr an Authentizität. Sie hatte nur ihren fehlenden Glauben diesbezüglich kurz vergessen.

Das Konzept Authentizität ist auch nicht angemessener und besser zu rechtfertigen als Ausländerhass. Man sollte sich davon im Handumdrehen etabliert haben. Übrigens: Niemand weiß eigentlich wie man eine Hand umdreht. Aber in einem Punkt herrscht dessen ungeachtet Konsens: Es geht ziemlich leicht. Und da Person A das Gefühl hat, nochmals ganz spontan einen semiprofessionellen Grund gegen die Plausibilität des Begriffs Authentizität entwickeln zu müssen, sagt sie sich: In dem Augenblick, in dem ich mir sage, sei einfach du selbst, bin ich nicht einfach ich selbst. Für beides auf einmal ist nicht Zeit. Person A hat keine große Lust das irgendwie theoretisch auszudehnen. Sie denkt sich aber noch kurz, authentisch soll man ja sein, wenn man man selbst ist. Und das geht doch davon aus, dass es einen Unterschied zwischen ich und ich selbst gibt. Jetzt übertreibt Person A: Richtig, das macht keinen Sinn und ist – wie etwa Religion oder der Anspruch ‚sozial’ zu sein – faustdick sonnenklar etwas, was die Mächtigen unseres Landes uns in den Kopf gesetzt haben, um uns zu regieren, damit wir gar nicht mehr in Zweifel ziehen, dass man sich selbst finden muss, dass man irgendwann aber bitte schon einmal wissen sollte, wer man ist und was man denn möchte in seinem Leben.

In solchen Momenten hat Person auch beim Tanzsport gelegentlich die Augen offen und blickt kurz auf den Bildschirm. Sollte man ein minder auffälliges Lied wählen, um …, na eben einfach so? Immerhin könnte vielleicht Person B oder Person C das Zimmer betreten. Man kennt sich schließlich auch noch nicht allzu lange, das heißt die Beziehungen hatten noch nicht die große Zeit sich zu festigen. Person A hält sich nicht für extravagant, sie will aber auch nicht verstören.
Sei es wie es ist: Sie geht wieder mit der Musik. Nach den kurzen Irritationen kann Person A wieder genießen. Was auch immer das heißen soll, wie sie sich fragt. Genuss scheint jedenfalls nichts mit der Lage der arbeitenden Klasse in England zu tun zu haben oder mit der kritischen Kritik der Kritik. Vielleicht ist Genuss ja auch nur ein anderes Wort für enormous chill. Vielleicht ist es ein Zeichen, dass die arbeitende Klasse hier ins Wort fällt: Die Authentizitätsdebatte hat Person A schon länger satt, sie hält sie für unproduktiv und eigentlich abgehakt. Kurz denkt Person A noch weiter. Es gibt doch den weit verbreiteten, aber unausgesprochenen Gedanken, dass man authentisches Verhalten, und insbesondere beim Tanzen (und um den Bezug zur Überschrift herzustellen: bei Blogeinträgen übrigens auch), daran erkennt, dass es technisch gut ist, etwa sehr gut auf den Takt und anderweitige musikalische Einheiten abgestimmt, oder sonst erstaunlich gut gemacht ist. In diesem Sinne ist Komplexität authentisch. Oder mal minus eins: Es gibt den Gedanken, gerade bei der Beobachtung eines tanzenden Menschen, dass genau dann wenn die Darbietung brüllend schlecht ist, Authentizität herrscht. Unverfälscht. Echt. Virtuosität ist immer technisch, immer künstlich. Vielleicht, und das ist das letzte was sie denkt, bevor sie unterbrochen wird, ist es genau das, dass man weder dem einen noch dem anderen Echtheit bescheinigen kann, keine der beiden Positionen toll ist, was zur Widerlegung des ganzen Konzeptes führt. Und das denkt Person eigentlich schon lange: Man ist immer man selbst, immer. Auch beim schrecklichsten Posing, Lügen oder Schleimen. Man kann sich nicht verstellen. Oder jemandem was vorgaukeln. Die ganze herkömmliche Auffassung zur Schauspielerei ist in diesem Sinne schwach. Person A denkt sich, der folgende Satz macht doch gar keinen Sinn: „Mach was du wirklich willst.“

Und wenn man schon vom Teufel spricht: Person B kommt ins Zimmer. Sie starrt Person A so lange an, bis Person A den Kopfhörer absetzt. Jetzt hat Person B endlich Zeit den Kopf zu schütteln und sich wieder umzudrehen. Solange du nicht reagierst, gefalle ich mir darin, dich strafend anzublicken. Will Person B etwa schon bereits wieder erneut sofort gehen? Dieser kurze demonstrativ mahnende ‚Befehlsstand’ reicht ihr etwa bereits wieder sofort aus? Person A muss an die Niederschlagung des Aufstandes auf dem Tian’anmen-Platz denken. Person B wendet sich doch noch um und spricht. „Hör mal zu, ja? Wir sind in dieser Wohngemeinschaft anständige Leute, ja? Sich so gehen lassen. Wenn du dich wenigstens bewegen könntest. Widerst mich an du. Was machen die Leute eigentlich. Also Leute, so was wie du halt. Sie brauchen immer stärkere Drogen, immer abgefahrenere Musik. Wenn ich dich nochmals erwische, dann mach ich dir dein kleines Schweineleben zur Hölle. Dann überfahre ich dich jeden Tag mit meinem Auto.“

Notabene: Es handelt sich um eine 8-er Wohnung. Landkommune, Altersheim, Bundeswehrbarracke. Ist egal. Der Vollständigkeit willen hätte man also erwähnen müssen, dass nicht nur Person B oder Person C ins Zimmer hätten kommen können, sondern auch Person D, Person E, Person F, Person G, Person H. Aus Rücksicht auf das Textbild wurde dies unterlassen sowie es aus Wahrheitspflicht als eben diese Bemerkung noch ergänzt wurde. Danke.

Komma Komma

Was wissen die Menschen komma die im Obergeschoss so laut lachen komma davon dass das ganze Leben eine einzige Musik ist. Drum'n'Bass mag auch mal 170 Schläge in der Minute haben. Eine schnelle Musik. Der Tango ist halb so schnell. Der Wiener Walzer ist nochmals halb so schnell. Diese Zahlen habe ich jetzt nicht recherchiert. Sie sind deshalb so toll komma weil sie so symbolisch sind.
Also komma was wissen die Leute davon komma die da oben so laut lachen komma dass sie da was ganz Falsches machen (oder will man leugnen komma dass das Zwerchfell nicht der Baum der Erkenntnis ist?) komma denn ein Mensch lebt so kurz komma so sehr kurz komma dass er auch wenn er ganz genau hin hört komma ganz genau komma vielleicht einen einzigen Taktschlag hören wird komma von dieser Musik komma von diesem Leben komma einen einzigen Schlag in seinem ganzen Leben. Und dass es auch gar nicht ausreicht komma dass Gehör martialisch-penibel zu schulen komma man muss auch den nervus acusticus schulen komma sowieso das ganze Gespür komma das komplette Nervensystem komma komma komma es bedarf des Menschen komma diesen einen Taktschlag zu hören. Und er braucht auch noch Glück komma der Mensch - das man in diesem Fall dann Schicksal nennt komma wenn es zu so einer unterwahrscheinlichen Koinzidenz kommen soll.

Aber nein komma da sitzen sie in der Runde und finden es lustig und lachen würgereflexartig explosiv und dann reden sie die ganze Zeit. Wer redet komma der kann nicht hören. Was? Um diesen Ansatz nochmals auf einen schlagkräftigen Kurzsatz zu bringen: Wer in einer Runde sitzt komma wird niemals etwas auf die Reihe kriegen. Es bedarf eben des Menschen. Jawohl.

Wenn ihr das auch total interessant fandet, das "," immer komma auszuschreiben, dann geht jetzt bitte sofort zu eurem Telefon und wählt die 1. Wenn ihr das auch total blöde fandet, das "," immer komma zu schreiben, dann lasst euch gerne noch ein wenig Zeit, aber dann geht sofort zu eurem Telefon, und wählt die 0!

Begründung meines Willens zum Wiedereintritt in die katholische Kirche

Natürlich kann man aus der Kirche austreten. Das steht jedem frei, bringt einige Vorteile, allerdings auch Nachteile. Einer davon ist, dass man beispielsweise einen Partner kennen lernen kann, der sehr viel Wert auf eine kirchliche Trauung legt. Auch wenn man Taufpate sein möchte, geht das unter Katholiken nur, wenn man selbst getauft ist.
Ich dachte vor einigen Jahren fatalerweise aus der Kirche austreten zu müssen. Ich hatte damals nämlich ein Jahresgehalt von 80 T€ netto, und da stieß es mir unangenehm auf, hundert Euro Kirchensteuer im Monat zu zahlen, über dessen Verwendung mich der Pfarrer des hiesigen Dorfes auch innerhalb eines fünfstündigen Streitgesprächs nicht plausibel unterrichten konnte. Leider mündete das Gespräch damals in gröbsten Handgreiflichkeiten, so dass ich berufsunfähig wurde. Glücklicherweise hatte ich mich zuvor gegen solch ein Ereignis versichert. Jedenfalls lernte ich bei der Reha meine Therapeutin Dagmar kennen, um deren Hand ich letztes Jahr anhalten wollte. Leider war Dagmar total katholisch! Sie wollte also unbedingt eine kirchliche Trauung.
Wer in die katholische Kirche wiedereintreten möchte, hat allerdings einige Schwierigkeiten zu bewältigen. Unter anderem muss man den Wunsch sehr ausführlich und schriftlich begründen. So musste ich damals also einen Text verfassen und an den örtlichen Pfarrer richten.
Glücklicherweise saß der Pfarrer von damals wegen Veruntreuung von Steuergeldern im Kitchen. Nein, nein, es ging nicht um die Kirchensteuer, auf die hatte er gar keinen direkten Zugriff. Er handelte damals mit Männern, und rechnete nicht korrekt mit dem Fiskus ab. Er dachte auf Männer werden 4% Mehrwertsteuer erhoben, dabei sind es doch nur noch 3%. Ich weiß das, weil ich mir damals mein Studium mit dem Handel von Männern finanziert habe.
Wie dem auch sei, bei dem neuen Pfarrer hatte ich gute Chancen. Der ist sowieso sehr nett. Folgender Text wurde von ihm akzeptiert. Naja, ich habe ihm natürlich auch ein Fass Rotwein aus der Rioja in den Hof gestellt. Egal. Die Liebe zu Dagmar ist jetzt amtlich. Und weil ich mich mit vielen Menschen unterhalten habe, die auch zurück zur Kirche wollten, weiß ich dass viele an diesem Schreiben scheitern. Aus geheuchelter Liebe zu meinen Mitmenschen veröffentliche ich mein Schreiben, quasi als Muster, hier im Internet. Zum Verständnis sage ich, dass ein Kunstgriff darin besteht, meine Taufe schon vorauszugreifen, also so zu tun, als wäre das Schreiben schon akzeptiert worden.

Ich lese gerne. Vor hundertfünfzig Tagen zum Beispiel habe ich in einem Buch (und nicht etwa vom Feld) gelesen, dass monokausales Denken - wenigstens statistisch - das Überleben in der Altsteinzeit wahrscheinlicher machte. Ich kann mir zwar nicht besonders konkret vorstellen, welche Methoden im Einzelnen zu diesem Ergebnis (Behauptung) geführt haben. Aber wenn es denn stimmt, dann komme ich als Selbstreflexionskrüppel der Familie (den Spitznamen habe ich von meinem Bruder) zu dem Befund, dass ich in der weiteren Evolution keine Chancen haben werde. Unter der Voraussetzung, dass sich die Situation seit der Altsteinzeit nicht verändert hat. Und hier kann ich mir noch viel weniger konkret vorstellen, wie man das ausdrucksvoll nachweisen kann. Es geht nicht. Wir leben strukturell immer noch in der Altsteinzeit. Dachte ich bisher, aber dazu unten mehr.
Außerdem. Ich bin auch nur ein Mensch. Das heißt, ich verdränge unangenehme Wahrheiten, und zwar aus dem tieferliegenden Grund, dass ich mich selbst ziemlich geil finde (Psychologie). Deshalb habe ich mich also taufen lassen. Denn Christentum und Evolutionstheorie geht zusammen nicht klar.

Aber zunächst ein kleiner Nachtrag zu den obigen prähistorisch gesonnen Ausführungen: Die Clovis-Kultur des nordamerikanischen Kontinents, die älteste dort angenommene menschliche Besiedlung, wird in ihrem Alter auf etwa 11.000 Jahre datiert. Es tauchen, wie immer in der Archäologie und Paläoanthropologie - und diese Behauptung werden alle Ahnungslosen mit mir teilen - immer mal wieder angeblich stichhaltige Ergebnisse irgendwelcher (amerikanischer) Wissenschaftler auf, die belegen, dass der Mais im Osten der heutigen USA noch früher als bisher angenommen domestiziert wurde, dass die Aubergine im Gebiet des fruchtbaren Halbmondes noch früher als der Emmerweizen kultiviert wurde und dass es den Hund schon im Ordovizium gab (also lange vor dem Menschen, so dass man sagen kann, dass der Hund den Menschen wohl als Haustier gehalten hat in der coolen Prähistorie und sich der Mensch aber dann doch behaupten konnte, jedenfalls bei oberflächlicher Betrachtung der heutigen Verhältnisse), das heißt, irgendetwas ist erwiesener Maßen immer noch älter. Wenn man diesen profilierungsgeilen Wissenschaftlern glaubt.
Jetzt hat man also vor einigen Jahren versteinerte Scheiße gefunden, die uns sagt, dass es vor der Clovis-Kultur Siedlungen gab in Nordamerika. Versteinerte Scheiße. Erstaunlich. Denn es handelt sich hierbei ja, und dass ist viel wichtiger als die komische Eventualität einer Präclovis-Kultur, um den ersten Nachweis menschlicher Kultur, der mir zu Ohren gekommen ist überhaupt. Es gibt also tatsächlich so etwas wie Kulturgut. Das hätte ich mir, als studierter Geologie (diese Disziplin handelt von verschissenen Steinen) und dementsprechend überzeugter Naturalist nicht träumen lassen. Nun mag man einwenden dass Opern von Verdi oder die überlieferten politischen Ansichten eines Catull oder Octavian Kulturgut seien. Aber im Unterschied zu Musik ist Scheiße messbar. Außerdem, und hier schließt sich für mich der Kreis, befinden wir uns damit, seit diesem ersten nachgewiesen Kack, per definitionem nicht mehr in der Altsteinzeit. Denn Kultur ist mal voll nicht monokausal.

Ja - und damit greifen wir den zweiten begonnen Kreis auf -, ich finde mich geil. Das liegt zwar hauptsächlich daran, dass ich ein Mensch bin, und deshalb dumm, wobei sich das Dumme immer geil findet, beziehungsweise, dass Geile das Dumme ursächlich und als Telos erst begründet, es liegt aber auch daran, dass ich dumm bin. Womit also gesagt ist, dass es eventuell Dummheit außerhalb des Menschen gibt. In diesem Sinne ist es erst verständlich, warum es ordentlich ist, jemand unmenschlich zu nennen, und zwar einfach deshalb, um darauf zu verweisen, dass sich dieser Mensch, auch noch die unmenschlichen Quellen der Dummheit zu eigen machen konnte.
Es wäre monokausal gedacht, zu sagen, der Mensch sei nur deshalb dumm, weil er ein Mensch ist. In der Altsteinzeit mag das ausgereicht haben. Spätestens seit der Geburt des heiligen Heilands ist aber klar, dass dies nicht mehr hinlänglich ist, die menschliche Dummheit zu begründen. Seit den zärtlichen Ereignissen im Zusammenhang mit Jesus wissen wir, dass das Unmenschliche schlechthin das Göttliche ist, zumindest teilweise, und dass der Mensch zusätzliche Dummheit nicht aus dem Nichts heraus schöpfen kann, sondern direkt aus der göttlichen Sphäre, unter anderem.
Weshalb habe ich mich also taufen lassen? Weil es nicht reicht, das Jagen und Sammeln eingestellt zu haben, um zu beweisen, dass die Altsteinzeit vorbei ist, also dass man jetzt nicht mehr nur noch aus einem einzigen Grund dumm ist, dass man jetzt nicht nur von den Feldern liest, sondern auch aus Büchern. Hauptsächlich aber weil ich auch was abbekommen will von der Evolution. Das Christentum glaubt nämlich, die Evolution gehöre ihm ganz allein, und ich weiß ja auch nicht von wem die versteinerte Scheiße genau kommt. Also die mögen sich halt nicht.
Ich will doch auch nur was von der Evolution. Ich liebe dich, Dagmar!

Bemerkung: Das mit dem versteinerten Kot ist nicht erfunden. Ja, das erste Zeugnis des Amerikaners... In der onlinischen Süddeutschen ist das nachzulesen. Und versteinerter Kot war ja bei ebay sogar schon käuflich. Wann zieht der Einzelhandel nach? Wann, oh wann begreift er endlich?

Du sollst kein Bild machen

Betrachten wir die Welt und denken dabei, dass sie von Gott stammt, dann müssen wir sagen, dass er mit dem Teil, unserer Erde also, und allem was sich aus ihr ergibt, an der Hochschule für Kunst und Gestaltung in Offenbach, um des Dialektes willen beispielsweise da, aber es ist völlig gleich, sich wirklich nicht hätte bewerben müssen. Man hätte ihn nicht verstanden.
Glück hätte er haben müssen, wenn sich in Gegenwart seiner Bewerbungsmappe um das Pult herum wenigstens eine Diskussion entwickelt, sich wenigstens geringfügiges Interesse eingestellt hätte. Normal wäre es gewesen, wenn man es kurz durchgegangen wäre, das Werk, und dann ignoriert hätte.
Hören Sie, Frau Professorin Soundso, Teile der Mappe finde ich ja schon interessant, ich sehe auch Parallelen zu Warhol (gibt es nichts größeres für einen Künstler, als mit Warhol oder Beuys verglichen zu werden, am besten aus dem Munde eines ganz großen Kuratoren?) und auch technisch nicht unmeisterhaft, aber das Konzept, ja, wo ist das Konzept? Ich meine, und dabei deutet die Expertin auf eine Nachbarmappe auf einem Nachbartisch, hier die Gabriela, die versucht mit geometrischen Figuren die Fläche auszufüllen, das hat Hand und Fuß, sowas sehe ich nicht bei, wie heißt der... komischer Name. Ist das der Vorname? Ein emiritierter Professor, der sich in seiner Freizeit noch der Beurteilung von Einsendungen widmet, weil er innerlich spürt, dass sein kunstmissionarischer Auftrag noch nicht ausgelaufen ist, meldet sich zu Wort.
Also isch waas anet, mir fählt do ärschendwie des Relischiöse, des Spiriduälle in där Mabbe. Des is doch di dodale Willkür, odä Renate? Und wo issen do die Eibeddung in de kunsthisdorische Kondäxt?

Vielleicht hätten sie ihn doch eingeladen, aber nur um ihn billig abzufertigen und ihm zu sagen, hör' doch mal zu, du bist doch intelligent oder, wir haben da ein Problem mit unserem WLAN-Router, und das hätte er natürlich locker hingekriegt, in kürzester Zeit. Er hat ihn ja erfunden, indirekt. Ach ja und noch was, wie ist denn das jetzt mit der Mehrwertsteuer, ich hab mir eben beim Hausmeister 'ne Bockwurst geholt, die aber gegessen, während wir über deine Mappe gelacht haben, also nicht vor Ort, muss ich jetzt sieben oder neunzehn Prozent zahlen? Du kennst dich doch aus mit sowas, du kleine Realistenschlampe, oder? Naja, und dann hatten wir natürlich alle den schwarzen Samtsack auf dem Kopf, während du da warst, damit wir nicht kotzen müssen. Können wir das beim Finanzamt als Arbeitskleidung geltend machen? Die Säcke haben schließlich auch ihr Geld gekostet. Und jetzt raus mit dir. Was? Nein, schlag dir den Studienplatz aus dem Kopf, wir nehmen die Tatjana, die malt mit historischem Fußschweiß, oder den Ingo, der die Landschaftsmalerei neu interpretiert. Ästhetisch? Erstens kommt es darauf nur beschränkt an und zweitens, schick lieber eine Bewerbung an die TU-Darmstadt, Materialwissenschaften, da schlägst du alle. Wir finden, dass du der wirklich geborene Ingenieur und Architekt bist, genialer Erfinder und Techniker, Mathematiker, Logiker und so weiter, aber kein Künstler. Dazu fehlt dir die Dummheit, mein Kleiner. Du liegst doch mit deiner Idee des blanken Daseins vor jeder Ästhetik. Gott wäre ganz schön gefrustet gewesen. Das heißt natürlich nicht, dass er dann gleich Pläne für den Osten geschmiedet hätte.

Der letzte Satz ist so wahnsinnig lustig, dass ich mir in die Hose mache. Ich meine wozu sonst dient Humor, wenn nicht die verrückten Grenzen der Moral (sprachlich!) zu überschreiten. Wohlgemerkt sprachlich, oder meinetwegen auch künstlerisch, in Karikaturen zum Beispiel. Die Handlung, das muss man bewerten. Die Handlung. Und jetzt komme mir niemand mit Austin oder Searle. Man könnte sich sowieso einmal überlegen, was es heißen würde, wenn es erlaubt wäre, alles zu sagen. Man könnte sich überlegen, ob wir an einem Ort leben, an dem die wertende Funktion von Sprache überschätzend missverstanden wird. Dass man es als geradezu primitiv bezeichnen könnte, wie das geschieht. Dass es möglicherweise geistig beschränkt ist, sofort entsetzt aufzuschreien, wenn jemand sagt, alle linken Studenten haben Fußpilz. Als hätte dieser jemand etwas gegen linke Studenten gesagt. Hat er gar nicht. Er hat doch nur etwas gesagt. Erstens haben etwa 20 Prozent aller Deutschen sowieso Fußpilz (worauf meine Mutter neulich meinte, dass noch einmal jemand sagen sollte, wir Deutschen hätten keine Kultur. Ich habe aus Scham und Ehrgefühl ihr sofort den Prometheus von Johnny G ins Gesicht geflammt). Zweitens ist es doch auch wichtig, dass diese Leute Fußpilz haben! Nein. Ich will ja nur sagen, dass linke Studenten mengentheoretisch betrachtet ein höchst paradoxes Phänomen sind: Zwanzig Prozent von ihnen sind gleichzeitig alle.

Das mit der sprachlichen Wertung könnte man alles lange diskutieren, zum Beispiel weil es so einfach doch nicht ist, aber nicht hier, denn ich habe mir gerade in die Hose gemacht. Das hat jetzt Vorrang! Das liegt aber nicht daran, dass der Satz so lustig war, sondern kommt vielmehr daher, dass ich mir generell in die Hose mache. Schon immer. Konsequent. Aber wozu liegt da sonst ein Toilettenstein "Orkan der Frische" (was anderes hilft nicht gegen die seit Jahren hier im Dorf vehement verlangte Ausbürgerung) und drei Bahnen Supersaugstark-Zellstoff aus der Sabotagetechnik in meiner Unterhose? Richtig, aus Erfahrung. Ja. Und das demonstriert auch, warum Gott abgelehnt wurde. Gott denkt so wie ich. Er hat eine Situation, in meinem Fall, ununterbrochener und leidenschaftlicher Harndrang, unkontrollierbar, wie ein Wildbach oder Wolkenbruch. Der Energieerhaltungssatz in seinen Grenzbereichen, denn ich trinke eigentlich nicht sehr viel. Und dann handelt Gott gemäß dieser Situation. Wie ich, wie die Russen. Zweckmäßigeit, Verhältnismäßigkeit der Mittel, Effizienz. Das sind die Koordinaten seines Vorgehens. Deswegen wurde er auch abgelehnt. Nehmen wir den supersaugstarken Zellstoff, eigentlich ganz im Sinne der Gott'schen Methode. Eigentlich eine Erfindung antikapitalistischer Untergrundingenieure des Arbeiter- und Bauernstaats, die dem Westen per Schwamm-Flugzeugabwurf die Wolken austrocknen und den Wasserkreislauf sabotieren wollten. Zum Einsatz kam der Schwamm nicht. Man will wissen warum? Ganz einfach. Ich habe damals derartig viel Geld geboten für diese Technologie, dass der Osten mit meiner finanziellen Unterstützung zu dem geworden ist was er heute ist: Überlegen in allen wirtschaftlichen Belangen. Und die Funktionäre konnten sich soziales Handeln auf die Fahnen schreiben, denn ich wusste nicht mehr ein noch aus, bis man mich rettete.

Wie gesagt ein perfektes Beispiel für die Denke Gottes. Die Erde inklusive unserer Existenz ist nichts weiter als ein solcher Schwamm, selbstverständlich Dimensionenenen (der sogenannte multiple Plural ist morphologisch einzigartig in unserer Sprache und gibt bekanntermaßen eine besonders große Zahl der Referenten zum Ausdruck) gewitzter und heftiger, ja, Gott, der Meistertechniker, der kosmogene Ingenieur, an der Kunst-Uni hat so jemand nichts zu suchen. Und das muss er auch einsehen, dass er da sein Potential verschwendet. Das Zweckfreie liegt ihm nicht.
Was will man ihm das denn anlasten? Er hatte eine gute Idee mit seinem Planeten und dem was zu Gelächter führte, als er es am Stammtisch zum ersten Mal Mensch nannte. Lange bevor die anderen Götter nur an so was dachten.
Und was ergibt sich daraus für uns? Es ist so. Wenn wir in einer unsinnigen Welt lebten, dann müssten wir konsequenterweise unsinnig handeln. Das wäre nur stimmig. Wenn wir das also übertragen wollen auf die Situation überragender Raffinesse der Verwaltung, gerade hier in Deutschland und in der EU, in einer Phase der holistischen Komplexifizierung bürokratischer Administration: Es muss Zufriedenheit herrschen. Warum? Weil es methodisch im Einklang steht mit den Gefühlen unseres sensiblen kleinen göttlichen Schöpfers. Regeln, Verordnungen, Gesetzmäßigkeiten, Anleitungen, Gebote, alles ein rechtmäßiger Grund zur Masturbation, am besten zu Mozarts Requiem. Deshalb, erstens weil es oben angesprochen wurde, und zweitens weil ich arbeitend etwas damit zu tun hatte jüngst, und drittens weil es immer noch miese Arschlöcher gibt, die verschlafen oder den Bus verpassen und drohen damit alles kaputt zu machen, ein kleiner Auszug aus der Liturgie, der Umsatzsteuerparagraph 15a nach Lukas:

Nein doch nicht, denn es war nicht meine Intention, irgendwie gegen die Bürokratie zu wettern. Ehrlich. Ich kenne mich in dem Gebiet nur so schlecht aus, dass der fahle Nachklang von Bildzeitungsniveau nicht zu vermeiden gewesen wäre. Ich meine, es war doch auch so lustig, oder?

Schlussnotiz: Womit wir gezeigt hätten, dass Gott kein DJ ist, wie es uns der Text eines Techno-Titels sagen möchte. Denn auch der DJ ist doch ein Künstler. Dazu muss nicht erst Scooter Texte von Thomas Bernhard lesen (was er tatsächlich gemacht hat).

Irgendwie Spiritualität

Ich weiß auch nicht. Irgendeine Sache in irgendeiner Form betrachten, das ist doch total irgendwie, oder? Ich meine, so komplett und hundertprozentig irgendwie. Ohne wenn und aber, und manchmal bedeutet es was, ja, ja manchmal schon, und dann bedeutet was anderes wieder was ganz anderes und so. Ich meine, es ist doch alles, aber echt alles total unterschiedlich, oder? Wie sich das alles unterscheidet, die ganzen Sachen, die man erlebt. Da mal mehr und da mal weniger. Vielleicht gibt es da Zusammenhänge und so, ich meine die gibt es doch echt überall, oder? Wenn man eine Sache erst mal ausgecheckt hat, dann kann man die nächste Sache viel besser auschecken. Und dann kriegt man mal klar was das eigentlich heißt, dass es einen gibt.

Oder? Das ist doch die Tatsache Nummer eins irgendwie, dass man da ist und alles andere auch. Dass diese ganzen Leute da sind, die Familie und die Arbeitskollegen und so, und die Leute, die grad' irgendwas in der Hand halten in irgend'nem Geschäft oder Schlafzimmer und dass man in den Spiegel glotzen kann oder aus dem Fenster. Ich mein, das kann man sich doch alles gar nicht erklären. Und das Gerede, von dass Leben hat zwar keinen Sinn, man muss seinem Leben einen geben, find' ich schwul. Und Selbstfindung und so. Das ist doch aus. Selbstfindung is' doch nur sich entschieden haben, wo man jetzt mitmachen muss. Das ist doch Kindergarten. Ich hab meine Philosophie, nenn' ich das jetzt mal, für mich gefunden. Ich mein', dass es uns gibt, und dass wir Gefühle ha'm und so. Ich muss mir doch nich' von 'nem Professor oder Priester erzählen lassen, warum das alles so ist. Oder die Glotze anmachen, weil es ja eh so is wie es is.

Dass man einfach so nachdenken kann. Alles anfassen kann. Und so krasses Zeug passiert. Klar hört das irgendwann auf, dann ist man halt tot. Dann stürzt man halt im Flugzeug ab. Oder? Und das mal was schlimmes passiert. "Ich bin das Werkstück der Wirklichkeit". Aber das is' eigentlich nich' so mein Sprachstil, also nich jetzt hier in dem Text. Ja, schlimme Sachen gibt's. Was soll's, das gehört dazu. Soll man damit jetzt irgendwie umgehen? Soll ich das etwas jetzt verarbeiten, oder was!? Was sollen das sein, verarbeiten? Warum reden die alle so viel? Also ich jetzt, ich komm anders nich' klar, als das alles durch mich durch fließen lassen. Ja, klar. Das jetzt ma' in den und den Worten formulieren. Blödsinn, ich will leben. Ich will mich beim Erleben filmen. Soll ich mir jetzt hier und da zu dem und dem so und so'n Verhältnis erarbeiten, oder wie? Warum denn, ich mach' niemandem was. Ich hab' Respekt. Für mich isses so: Dass einfach alles da ist, das is' für mich Gott.
"distorted" (Ein geheucheltes Danke an das Archiv für religiöse Kunst, Kloster Altötting.)

Es kommt darauf an, Zusammenhänge zu erkennen

"we live in the post-connected age." Häkelarbeit mit Knüpfintarsien: Vermutlich Allgäu oder Rheingau, undatiert (wegen der Parallelen zum dortigen Dom vermutet man die Beteiligung einer Regensburger Werkstatt, Nürnberg kann aufgrund der Kolorierung ausgeschlossen werden)


Was bin ich froh, an der Universität gelernt zu haben, Zusammenhänge zu erkennen - Webearbeiten des Schöpfers zu sehen. Der intelektuell betuchte Mensch begann bereits auf dem Gymnasium diese große Fähigkeit erfolgreich zu erlernen. Apropos Gymnasium: Bitte kein Turboabitur einführen, ja?, liebe Verbraucherschützer, Jusitzminister und so, ja? Bitte? 13 Jahre Gehirnwäsche sind gerade gut genug. Vor allen Dingen die Kreativen müssen mit besonderem Einfühlungsvermögen verstümmelt werden. Ich habe gestern zum Beispiel meiner Nachbarin, fünfte Klasse, versucht beizubringen, wie man Adverbiale von Präpositionalobjekten unterscheiden kann. Na, wenn das Fragewort die Präposition enthält ist schon mal ein guter Hinweis, aber verlass' dich nicht drauf!
Genau das richtige Material für so ein Balg. Ist mir sowieso zu lebensfroh, das Vieh. Auch in puncto Desorientierung übt sich früh! Aber: Wo wir schon Zusammenhänge sehen können: Haben wir nicht aus unserer gemeinsamen deutschen Geschichte gelernt, wie unheilvoll 12 Jahre sein können? Oder meinten die Reformer etwa genau das?
Aber natürlich, trotz aller Zynik, ist es natürlich vollkommen richtig, dass es pervers ist, den Abiturienten bereits nach 12 Jahren in die kapitalistische Verwertungsgesellschaft zu inkarzerieren. Schon mit dem Bachelor- und Mastersystem hat man uns knallhart klargemacht, dass es etwas wie Arbeit gibt, wo wir doch dachten, dass sei nur eine Hypothese von Henry Ford, eine Hilfskonstruktion bei Marx.

"Aber das interessiert mich alles nicht. Sollen die Leute über Arbeit und Bildung denken worauf sie Lust haben. Was mich betrifft, von mir könnt ihr die lausigen acht Mücken haben, mir doch Latte. Und wenn ich Frühschicht habe, dann habe ich sozusagen halt 'ne Morgenlatte. Ich meine, ich schlafe am liebsten, und wenn werktäglich noch weitere acht Stunden Schlaf hinzukommen ist mir das egal. Mir ist es eh nicht gelungen irgendeinen anständigen Lebensentwurf zu entwickeln, von daher, greift zu. Ich vermisse nichts. Das macht dann 3 Euro 38.", sagte mir die Mutter eines Jugendfreundes (ich bin mit ihm mit dem Fahrrad ständig 'durchs Ort' gefahren und einmal hab ich mit einer grifflosen Feile vom Sperrmüll den Plexiglasschutz vor einer Touristikinfotafel eingeworfen, was ich meiner Mutter heulend gestanden habe eine Stunde später). Sie kassiert jetzt im Rewe. "Ich arbeite für mich und nicht für den Staat."

Ich wollte gerade vom Steuerbüro (ich kenne jetzt die Abkürzung für Gewerbesteuermessbetragzerlegungsbescheid, nämlich Gewerbesteuermessbetragzerlegungsb.) nach Hause fahren, und legte den Zwischenstop bei einer öffentlichen Konsumguterwerbsanstalt ein. Mit Pizza und Strohalmen bin ich dann tatsächlich aus der Einfahrt aus dem Parkplatz hinausgefahren.
Und dann hat es gekracht (ich hasse diesen Satz). Ein Leidersbacher Rübenbauer (Kettenraucher, ledig) ist mir in die Seite gefahren, seine Anhängerkuppel wurde aus der Verankerung vom Unterboden herausgerissen - aber nicht vollständig - und wickelte sich um den Heckspoiler meines Astra. Meine Windschutzscheibe wurde eingesplittert, eingedrückt und aufgerollt. Sie räkelte sich um die UKW-Antenne meines Unfallkontrahenten, solche verbog sich u-förmig, passierte mit ihrer ersten Biegung mein rechtes Bremslicht (natürlich nicht meines) und führte sich schnurrstracks in die Auspuffpfanne. Und so weiter, und so weiter.
Es würde zu weit führen, die Topologie des Gebildes näher zu erläutern. Es hatte etwas Vierdimensionales. Ich konnte mich nur mit einem achteinhalb gebückten Auerbach aus dem Tankdeckel befreien, riß mir dabei aber beide Lippen ab. Mein Unfallpartner musste alleine sieben Kilometer kriechen, um aus dem Gebilde zu entkommen.
Vollkommen ausgelaugt und abgekämpft blickten wir uns ratlos in die Augen, bis einer von uns begann zu reden, ganz gleich wer es jetzt war (eine der beiden Stimmen hörte sich merkwürdig an, irgendwie vergrößert).

- Können sie mir jetzt den Zusammenhang zwischen unseren beiden Wagen erklären.
- Es scheint mir etwas Mechanisches zu sein.
- Eine Verbindung.
- Ja, aber ganz wörtlich zu verstehen. Was haben Sie für eine Schulbildung?
- Ich bin übrigens die Mutter ihres Jugendfreundes.
- Ausgeschlossen, die sitzt da drinnen an der Kasse. Sie wollen das also nicht beantworten.
- Sehen sie, wie hier der Kühlertopf ihres Astra mit der von Unfallflüssigkeit herausgespülten Kardanwelle meines Gebrauchtwagens zusammenhängt?
- Ich weiß nicht, sieht aus wie ein Koitus. Leidenschaftlich irgendwie.
- Jetzt weiß ich, was sie meinen.
- Dann war ich das an der Kasse also selber?
- Nein, das war ich.
- Nein, ich.
- Also ich war es nicht.
- Was ist eigentlich Unfallflüssigkeit?
- Unfallflüssigkeit wir bei jedem Unfall freigesetzt.

Meine Herren, was ist denn hier los, wie haben sie das denn angestellt. Ein junger Polizist machte sich knapp hinter uns stimmlich bemerkbar. Er hatte die Äste eines Strauches zur Seite gefaltet und kuckte recht witzig. Wir antworteten ihm nicht. Die Situation verblasste.

Synthiepop

Die Synthese wird umso reiner, desto gegensätzlicher These und Antithese sind. Ich will das an einem Beispiel verdeutlichen. Wenn wir früher im Freizeitlook mit Hartkautschukbällen Kricket spielten, können wir nicht erwarten, dass wir in Zukunft in Arbeitskleidung das Verladen eines Baukrans auf einen Schwertransporter leiten, unter der Voraussetzung, dass wir momentan neue Polypeptidketten in ihrem Nutzen für die Krebsforschung untersuchen, und zwar, bis auf ein rotes Bändchen am Oberschenkel, völlig nackt.
Wir waren in unserer Jugend also vielleicht nicht für uns, waren vielleicht nicht in uns und das Innen war vielleicht nicht das Alles, und das Alles war nicht wir, vielleicht, und jetzt als sogenannte Erwachsene, in jungem Stadium, also momentan, arbeiten wir, oder müssen das bald tun, jedenfalls stecken wir in ganz konkreten lebensweltlichen Verhältnissen, begonnen beim Broterwerb und als Linie über alle Gewohnheiten und Verpflichtungen weitergeführt. Was verdammte Speise soll aus uns werden, wenn wir denn glauben unsere Jugend nicht genutzt zu haben? Wenn wir daran glauben... Wenn wir eine Jugendliebe vermissen zum Beispiel, wenn wir in dem intemporären Zustand sind, nur als Beispiel, eine Jugendliebe zu vermissen, sei es subjektiv auch dämlich, mitunter als die typisch unerträgliche Schönheit von Schmerz zum Ausdruck gebracht. Wenn wir nicht frei waren, oder wenn wir uns das auch nur einreden – kann sein, wir vermissen gar keine Jugendliebe, vielleicht hatten wir auch eine – aber wenn wir nicht überzeugt sind, zu hundert Prozent frei gewesen zu sein, und es jetzt ganz bestimmt nicht sind, dann werden wir in Zukunft nicht das Bedeutungsfeld von Freiheit überwinden, weder in der Tat noch im Geist. Was nebenbei erwähnt eine Freiheit höherer Stufe darstellen würde, die sogar höchste Form von Freiheit, die dem Menschen zur Verfügung steht, und je vollkommener er sie auslebt, desto göttlicher wird er. Das wissen wir nicht aus der Antike, sondern das ist einfach so.

Wir sorgen uns, nach termingerechtem Ablauf unserer Kindheitsjugend, dass wir nie wieder den Illusionslosigkeiten entfliehen können, die aufgekommen sind im Zuge der Zwangsumsiedlung von Form zu Inhalt. Aber wir redeten von einem Gegensatz, und den gilt es zu domestizieren und einem entzückenden Zierblütler gleich aufzuziehen. Tun wir das nicht, wird dieser Gegensatz und Widerspruch ebenso wertvoll sein wie ein Schubkarren voller alter Hornhaut dem klassischen Schönheitsideal genügt. Unser Leben wird für immer ein Leiden an einer Art bewussten Inkonsistenz an sich sein, wenn wir nicht die Hornhaut entfernen, das Blech polieren, ein neues Rad montieren und den Schubkarren auf einen Marmorsockel in den offenen Säulengang vor die Pinienwälder und prachtvollen Sonnenaufgang stellen.
Folgendes ist dringend zu erreichen... Wir machen uns jetzt, momentan, in der ganzen Gewohnheit privater Enge und im Jargon der Ausführlichkeiten der auswärtigen Anstrengungen im Beisein der Tatsache von gewesenen jungen Jahren, so unfrei, wie es nur geht... Wir versklaven uns an das Geräusch zufallender Kühlschranktüren und Startbildschirmen von Betriebssystemen. Müssen wir uns enteignen von unserer Fantasie und unserer Lust, uns fesseln bis zur Implosion, damit wir in unserer Zukunft mit vielen anderen Dingen außer nur mit der Lunge atmen können? Und zwar mit allen? Ja!(*)

Dann wird es in der Zukunft keine Gesellschaft mehr geben, und kein Ich, es wird gar nichts mehr geben, man wird nicht einmal mehr "Parasitäre Geophagen im Blickfeld paläoanthropologischer Heuristik" sagen, um sich lustig zu machen über die vollkommen absurde Verästelung zu Wort gebrachter Menschenerkenntnis bisweilen. Auf so etwas wird man gar nicht mehr kommen. Alle Begriffe werden gesprengt sein.
Wenn ich in der Zukunft bin, werde ich nicht mehr das "Jugendkunstleben" träumen, ich werde gar nicht mehr wissen, was träumen ist, ich werde schreiben können was ich will, und zwar werde ich Grundsätzliches zu dieser Welt sagen, Grundlegendes, ich werde ausholen zum lauten Gongschlag auf dem Turm der monotheistischen Thanatologie. Wenn ich schreiben können werde ohne Begriffe zu gebrauchen. Ich, der ganze allgemeine Mensch, werde Versepen schreiben von griechischer Schönheit, ich werde, aus einer Ming-Vase wachsend, in Jamben und Haikus von Liebe und Schicksal singen, ganz gleich, ob ich das mit der verbliebenen freien Hand als Bomberpilot auf dem Schoß unternehme, während ich den Bericht vom Maschinisten entgegennehme, oder im Wohnzimmer, wo ich in eine homosexuelle Dreiecksbeziehung verwickelt bin, und mich aus Angst vor dem Geschlechtsverkehr unter dem Tisch verstecke, dort, wo ich einst einen Kugelschreiber fand unter der längst nonaktuellen Fernsehzeitschrift.
Die Medien sprechen heute doch ohnehin alle die gleiche Sprache, selbst, aber gerade auch, die entlegensten kommunalen Boulevardblätter. Ohne Ironie oder irgendwelche Verschleierung und Verschwiegenheit geben sie uns direkt zu verstehen, dass die Außenwelt immer unwichtiger wird. Wir werden diese Botschaft gar nicht mehr wahrnehmen können. Mit der Methode der Assonanz von Dissonanz und Konsonanz werden wir schreiende Wahrheiten brüllen, ohne den Mund zu öffnen, wir werden die Körpersprache eines Herkulesmuskels zum Gesamtkonzept der Tatsachen machen, wenn wir uns erst einmal einige Jahre schlafen gelegt haben werden, zum Erstaunen der Mittellosigkeit irgendeiner depressiven Tendenz oder regressiven Demenz. Und wenn die Stille dann dem Heulen des Windes weichen wird, und wenn wir – die Schlafwandelnden – uns erheben werden... Nicht wir werden aufgewacht sein, sondern der Schlaf. Wir werden von Glück sprechen können.

Ruhe im Saal. Ich möchte jetzt nämlich einen sehr scharfsinnigen Begriff definieren. Der Begriff ist All und ist dadurch, und zwar hinreichend und exklusiv, bestimmt, dass es der allgemeinste Begriff ist auf der ganzen Welt. Er verweist auf sich selbst und beinhaltet sich also selbst. Der ein oder andere Philosoph würde sagen, dass er sich bewegt. Und jetzt möge mir niemand ins Wort fallen, dass dies ein Widerspruch ist. Wenn es doch ein Subjekt wagen sollte, dann werde ich an der Kasse seine Eltern ausrufen lassen, ist das klar?
Wenn wir uns momentan um die Architektur des Gegensatzes zwischen Traum und Welt kümmern wollen, um die kuppelförmige Brücke über das All, das selbst nicht mehr begrifflich ist sondern strukturell die Überwindung des Gegensatzes zwischen zwei vollkommen identischen Dingen... einfacher gesagt, wenn wir uns jetzt ein algorithmisches Rezept zurechtgelegt haben, unsere Träume später zu überwinden und damit die erste Phase betreten haben – ausgezeichnet durch die Erkenntnis der These und damit augenblicklich mit der Möglichkeit verbunden, die Gegenthese plattentektonisch zu formieren und zu beeinflussen –, dann ist doch folgende Frage abschließend noch interessant und überaus intelligent.
Reicht unser jetzt erlangtes Bewusstsein, um den Übergang in Phase zwei ansatzweise für uns vorstellbar zu machen? Eine dumme Frage. Wie aus einem Kind. Denn an diesem Punkt wird längst nicht mehr begreiflich sein, was eine Vorstellung ist. Die Antwort ist also ein mehr als nein, ein Meer aus nein, ein zweihundertfünfzigprozentiges Nein. Das stärkste Nein, das derzeit auf dem Markt ist. Es wird die Kernfusion des Seins zur Entfaltung eines Gegenstandes, dessen Innen sein Außen ist, zustande kommen, und zwar ohne nur eine Sekunde zu verbrauchen, am Schluss von Phase eins. Und "was" wir dann vor "uns" haben, wird es nicht mehr geben, denn was viele nämlich nicht wissen – ich erlebe das bei meinen Vorträgen in den Betriebsräten immer wieder – ist, dass Identität in sich verschwindet. Widersprüche existieren, Identitäten nicht. Es wird der Zustand eintreten, in dem wir Infrarotlicht husten und abstrakte Räumlichkeit koten. Unsere Popel werden Kometen sein, und man darf sich etwas wünschen, wenn sie verglühen. Genau genommen ist es kein Zustand mehr schon, aber ist ja ohne etwas immer so, dass alle Leute in der Fußgängerzone auf die Frage, ob ich mich in einem Zustand befinde, mit – siehe Sternchen – antworten.

Also. Wir wollen uns sammeln. Wenn wir früher nicht der Mensch sein konnten, der wir aus jetziger Sicht sein wollten, dann müssen wir nur für einige wenige Minuten in die Knechtschaft kriechen. Im Anschluss, wenn wir Wissen wissen, können wir nun das Beste für die nachfolgende Generation von Momenten herausholen. Aber sowieso: Niemand ahnt die grandiose Freiheit der Vierzigjährigen und angeblich 'Ent-ichten'. Nicht einmal sie selbst.

Dualistische Ontologie: Aufgabenblatt #4

Sei me eine beliebige Instanz von Ich und f eine Relation zwischen Ich und Welt. Zeigen Sie, mit Hilfe des Kalküls der Identität zweiter Ordnung:

Hinweise:

a) ist ein einfaches Korollar aus Sartres Freiheitsgleichungen für Säugetiere.

Für b) konstruieren Sie eine beobachter-invariante Sicht auf Welt und integrieren dann über die Menge aller Subjekte. Benutzen Sie hierfür das Adagio aus Beethovens Minus Neunter.

In c) können Sie Existenz und Eindeutigkeit von Intersubjektivität voraussetzen. Schätzen Sie die Distanz zweier Ich-Instanzen zunächst mit Hilfe des Selbstgesprächtheorems für ein beliebiges Ich und dessen Unter-Ich ab und konstruieren dann eine Kommunikation K für alleine wahrgenommene paarweise verschiedene Ichs. Im Zweifelsfall lesen Sie nochmals (gründlich!) die Septemberausgabe von Auto-Motor-Sport aus dem Jahre 1997.

Virtuelle Skulptur

"life is just another epic ordinary sculpture tale." (near Rohrbrunn)

Der Atem kroch aus meiner Nase und kam über den weißen Bartstoppeln noch vor den Oberlippen zum Stillstand. Schneestaub, der sich ganz behutsam in die Poren senkt. Als mein Herzschlag verstummte, druckte exakt zur gleichen Zeit ein mit Sturmfeuerzeugen gefüllter Farbdrucker im Maschinenraum eines virtuellen Eisbrechers zweitausend Meter unter Normal Null meine Geburtsurkunde. Der erste Laut drang aus meiner Kehle. Ich überflog mit kindlicher Leichtheit die ersten Jahre und sorgte später eigenhändig für die Schwerkraft. Ich werde wieder leiser. Ich werde im Polarmeer ertrinken und wurde Geist. An der kalten Oberfläche unter dem Vulkan: Eisschollen aus Pigmentestaub im Gewitter oxidierter Tinte. Ich hole die Luft in Birkenholzfässern den Weinhang hinauf zum Sumpfbett und schlüpfte als Regenwolke über einem EKG-Gerät.

M., alles Gute für Dich und rasche Genesung!

Technologie am Beispiel des Design

Abb. 1.

Abb. 1.: Auch wenn Sie gerne fotografieren, überlegen Sie sich bitte genau, was Sie Ihren stressgeplagten Mitmenschen zumuten können. Übrigens, drehen Sie doch mal am vorderen Ring des Objektivs Ihrer DSLR. Keine Angst, Sie werden davon bestimmt nicht schärfer. Außerdem: Wenn Sie, wie es hier der Fall zu sein scheint, bei strahlender Sonne fotografieren, dann versuchen Sie mal mit etwas Unterbelichtung zu arbeiten. Wenn Sie hinterher bei der Bildbearbeitung den Kontrast erhöhen, wird das Bild nicht so blass und farblos wirken.

Fazit: Ein solcher Grasbüschel geht gar nicht. Aber: Ihnen ist zu helfen. Definitiv.

Gekonntes Design erfordert Fingerspitzengefühl. Es reicht nicht aus, einen Kohlkopf zu fotografieren und mit einschlägiger Software den Kontrast zu regulieren, um eine gute Abbildung zu schaffen. Besonders nicht, wenn diese dafür geeignet sein soll, wenigstens um die Gunst des Betrachters zu werben - wenn schon keine kommerziellen Zwecke verfolgt werden. Wir dürfen gerne glauben, dass dies vor eins zwei Generation der visuellen Kommunikation ausreichend war. Heute hingegen ist es ein kompliziertes Unterfangen in der ungeheuren Masse der meist ziemlich ausgeschlafenen Konkurrenz mit Ungewöhnlichem aufzuwarten.
Digitale Bildbearbeitung verhält sich zum bloßen Abbilden der Wirklichkeit wie Reflexion zu Betrachtung. Und Betrachtung alleine hat noch keinen intellektuellen Wert. Man erkennt den Urheber stets sofort am Ergebnis. In diesem Sinne ist im digitalen Zeitalter selbst jedes jpg-File eine Signatur einer ganz eigenen Persönlichkeit. Einerseits erkennt man sofort die Hidden Champions, andererseits ob Schritt gehalten werden konnte mit der rasanten Entwicklung heutiger Technologie.

Abb. 2.

Abb. 2.: Laiendesign. Die Fotografie einer Pflanze wurde in Sepia gesetzt und bis auf die Bildmitte entsättigt. Eigentlich nicht sehr inspiriert, stellt das Ganze aber eine deutliche Verbesserung gegenüber dem Vorgänger dar. Es gibt keine Akzente, keine Linien die den Blick leiten. Gar nichts. Das Bild wirkt roh und angefangen. Nirgendwo sind wirkliche Entscheidungen zu beobachten. Die Technologie hat den Anwender unterdrückt. Die Bearbeitung ist halbherzig. Eine eigene Handschrift ist kaum angedeutet. Allerdings muss man dieser Arbeit eine Sache wirklich zu Gute halten. Und zwar wurden Bildausschnitt, Format und die Perspektive nicht verändert. Aber gerade in diesen Punkten ist der Unterschied zum Ausgangsobjekt gewaltig. Es zeigt sich, dass man auf die Komposition einwirken kann, ohne die Komposition direkt zu verändern. Es lohnt sich wirklich, sich diesen Umstand in aller Allgemeinheit klar zu machen und bei eigenen Bearbeitungen unbedingt zu berücksichtigen. Bei dem abgebildeten Beispiel wurde alleine durch Veränderung der Einfärbung eine komplett andere Komposition geschaffen! Etwas, was man vielleicht so nicht auf der Rechnung hatte. Begründen lässt sich dies damit, dass die kompositorische Schwäche des ersten Bildes darin bestand, dass eigentliche Objekt nicht ausreichend vom Hintergrund abgehoben zu haben. Man hätte das Objekt in etwas flacherem Winkel abfotografieren sollen. Durch die Färbung wird es erstens deutlich vom Hintergrund abgesetzt, zweitens wird der Hintergrund durch den b/w-Effekt vollständig planar. Es scheint sich geradezu der Sichtwinkel verändert zu haben.

Fazit: Die gewählten Mittel sind aber so drastisch, dass die Ursprungs'intention' völlig verwischt wurde.

Technologie ist Geist. Denn heutzutage bietet sich als Ausdruck von Geist überhaupt nichts anderes mehr an als Technologie. Kreativität alleine ist im Zeitalter der Medienrevolution Kollektivbesitz. Da gibt es nichts mehr an Identität heraus zu unterscheiden.
Das heutige Genie zeigt sich bei der Anwendung von Technologie. Hierzu erläutere ich, dass Entwicklung von Technologie nichts anderes ist als die Anwendung primärer, basalerer Technologie. Aber auch die Anwendung von Technologie geschieht je nach Intellekt des Users mit Hilfe der Entwicklung von Binnentechnologien, und wenn sich dass nur dadurch ausdrückt, dass man Short-Cuts festlegt, oder etwa einen eigenen Programmierstil hat. Damit meine ich: Auch die Benutzung von Technologie ist bereits Technologie. So ist selbst das Fahren eines Autos etwa Technologie. In einem solch umfassenden Sinne ist nachvollziehbar, warum ich propagiere, Technologie und schöpferischen Geist gleichzusetzen. Kreativität ist in dieser neuen Perspektive nicht mehr das Werkzeug zum Schaffen, sondern dasjenige, was mit Hilfe von Technologie bearbeitet wird.

Abb. 3.

Abb. 3.: Individuälles Design. Modärner Look. Diese ganz fabelhafte Arbeit genügt allen Ansprüchen, die an High-End-Design gestellt werden und zeigt den Schöpfer als bewussten Manipulator von Technologie. Es gelingt ihm, aus der entindividualisierten Befehlszeilenwelt der technologisch dominierten Kunst als Mensch herauszuragen. Und wenn wir oben die Wichtigkeit von Entscheidungen ansprachen, so wurden hier viele mutige, und wie ich finde, gute Entscheidungen getroffen. Die jetzt drastischeren Eingriffe in den Bildraum machen uns deutlich, worum es dem Designer geht. Und: Machen Sie sich einmal klar, was aus dem dürftigen Ausgangsmotiv herausgeholt wurde.

Das letzte Bild zeigt uns das Ergebnis von Technologie als bewusst technologisch. Das soll heißen: Bei den schwarzen Balken assoziert man etwa die Begrenzungslinien eines Suchers, es wird etwas wie der Prozess eines Fokussierens angedeutet. Auch das invertierte Rechteck ist konform mit dem sonst durchweg technophilen Design. Es markiert einen Bereich, der noch synthetischer wirkt als das Restbild. Wenn ich das, worauf ich hinaus will, überzeichne, könnte ich sagen, es handle sich um die Wirklichkeitswahrnehmung eines technischen Apparates, eines Roboters, eines Programmes zur Bilddatenmessung, oder einer anderen Anwendung der künstlichen Intelligenz. Das deutet sich auch schon in Abb. 2. an, wo man sich eine Fokussierung von Gegenständen wie etwa bei automatischen Bilderkennungsprogrammen vorstellt. Wo man etwa an einen Algorithmus zur Mustererkennung erinnert wird.

Fazit:
Es wirkt alles sehr diskret auf dem Bild, sehr technisch. Wenn ich Sie nicht überzeugen konnte, dann betrachten Sie nur erneut kurz Abb. 1., und auch Ihnen wird dies alles nicht zu übertrieben erscheinen.