Zeitschrift für Sprungkraft und Leuchtstoff

Synthiepop

Die Synthese wird umso reiner, desto gegensätzlicher These und Antithese sind. Ich will das an einem Beispiel verdeutlichen. Wenn wir früher im Freizeitlook mit Hartkautschukbällen Kricket spielten, können wir nicht erwarten, dass wir in Zukunft in Arbeitskleidung das Verladen eines Baukrans auf einen Schwertransporter leiten, unter der Voraussetzung, dass wir momentan neue Polypeptidketten in ihrem Nutzen für die Krebsforschung untersuchen, und zwar, bis auf ein rotes Bändchen am Oberschenkel, völlig nackt.
Wir waren in unserer Jugend also vielleicht nicht für uns, waren vielleicht nicht in uns und das Innen war vielleicht nicht das Alles, und das Alles war nicht wir, vielleicht, und jetzt als sogenannte Erwachsene, in jungem Stadium, also momentan, arbeiten wir, oder müssen das bald tun, jedenfalls stecken wir in ganz konkreten lebensweltlichen Verhältnissen, begonnen beim Broterwerb und als Linie über alle Gewohnheiten und Verpflichtungen weitergeführt. Was verdammte Speise soll aus uns werden, wenn wir denn glauben unsere Jugend nicht genutzt zu haben? Wenn wir daran glauben... Wenn wir eine Jugendliebe vermissen zum Beispiel, wenn wir in dem intemporären Zustand sind, nur als Beispiel, eine Jugendliebe zu vermissen, sei es subjektiv auch dämlich, mitunter als die typisch unerträgliche Schönheit von Schmerz zum Ausdruck gebracht. Wenn wir nicht frei waren, oder wenn wir uns das auch nur einreden – kann sein, wir vermissen gar keine Jugendliebe, vielleicht hatten wir auch eine – aber wenn wir nicht überzeugt sind, zu hundert Prozent frei gewesen zu sein, und es jetzt ganz bestimmt nicht sind, dann werden wir in Zukunft nicht das Bedeutungsfeld von Freiheit überwinden, weder in der Tat noch im Geist. Was nebenbei erwähnt eine Freiheit höherer Stufe darstellen würde, die sogar höchste Form von Freiheit, die dem Menschen zur Verfügung steht, und je vollkommener er sie auslebt, desto göttlicher wird er. Das wissen wir nicht aus der Antike, sondern das ist einfach so.

Wir sorgen uns, nach termingerechtem Ablauf unserer Kindheitsjugend, dass wir nie wieder den Illusionslosigkeiten entfliehen können, die aufgekommen sind im Zuge der Zwangsumsiedlung von Form zu Inhalt. Aber wir redeten von einem Gegensatz, und den gilt es zu domestizieren und einem entzückenden Zierblütler gleich aufzuziehen. Tun wir das nicht, wird dieser Gegensatz und Widerspruch ebenso wertvoll sein wie ein Schubkarren voller alter Hornhaut dem klassischen Schönheitsideal genügt. Unser Leben wird für immer ein Leiden an einer Art bewussten Inkonsistenz an sich sein, wenn wir nicht die Hornhaut entfernen, das Blech polieren, ein neues Rad montieren und den Schubkarren auf einen Marmorsockel in den offenen Säulengang vor die Pinienwälder und prachtvollen Sonnenaufgang stellen.
Folgendes ist dringend zu erreichen... Wir machen uns jetzt, momentan, in der ganzen Gewohnheit privater Enge und im Jargon der Ausführlichkeiten der auswärtigen Anstrengungen im Beisein der Tatsache von gewesenen jungen Jahren, so unfrei, wie es nur geht... Wir versklaven uns an das Geräusch zufallender Kühlschranktüren und Startbildschirmen von Betriebssystemen. Müssen wir uns enteignen von unserer Fantasie und unserer Lust, uns fesseln bis zur Implosion, damit wir in unserer Zukunft mit vielen anderen Dingen außer nur mit der Lunge atmen können? Und zwar mit allen? Ja!(*)

Dann wird es in der Zukunft keine Gesellschaft mehr geben, und kein Ich, es wird gar nichts mehr geben, man wird nicht einmal mehr "Parasitäre Geophagen im Blickfeld paläoanthropologischer Heuristik" sagen, um sich lustig zu machen über die vollkommen absurde Verästelung zu Wort gebrachter Menschenerkenntnis bisweilen. Auf so etwas wird man gar nicht mehr kommen. Alle Begriffe werden gesprengt sein.
Wenn ich in der Zukunft bin, werde ich nicht mehr das "Jugendkunstleben" träumen, ich werde gar nicht mehr wissen, was träumen ist, ich werde schreiben können was ich will, und zwar werde ich Grundsätzliches zu dieser Welt sagen, Grundlegendes, ich werde ausholen zum lauten Gongschlag auf dem Turm der monotheistischen Thanatologie. Wenn ich schreiben können werde ohne Begriffe zu gebrauchen. Ich, der ganze allgemeine Mensch, werde Versepen schreiben von griechischer Schönheit, ich werde, aus einer Ming-Vase wachsend, in Jamben und Haikus von Liebe und Schicksal singen, ganz gleich, ob ich das mit der verbliebenen freien Hand als Bomberpilot auf dem Schoß unternehme, während ich den Bericht vom Maschinisten entgegennehme, oder im Wohnzimmer, wo ich in eine homosexuelle Dreiecksbeziehung verwickelt bin, und mich aus Angst vor dem Geschlechtsverkehr unter dem Tisch verstecke, dort, wo ich einst einen Kugelschreiber fand unter der längst nonaktuellen Fernsehzeitschrift.
Die Medien sprechen heute doch ohnehin alle die gleiche Sprache, selbst, aber gerade auch, die entlegensten kommunalen Boulevardblätter. Ohne Ironie oder irgendwelche Verschleierung und Verschwiegenheit geben sie uns direkt zu verstehen, dass die Außenwelt immer unwichtiger wird. Wir werden diese Botschaft gar nicht mehr wahrnehmen können. Mit der Methode der Assonanz von Dissonanz und Konsonanz werden wir schreiende Wahrheiten brüllen, ohne den Mund zu öffnen, wir werden die Körpersprache eines Herkulesmuskels zum Gesamtkonzept der Tatsachen machen, wenn wir uns erst einmal einige Jahre schlafen gelegt haben werden, zum Erstaunen der Mittellosigkeit irgendeiner depressiven Tendenz oder regressiven Demenz. Und wenn die Stille dann dem Heulen des Windes weichen wird, und wenn wir – die Schlafwandelnden – uns erheben werden... Nicht wir werden aufgewacht sein, sondern der Schlaf. Wir werden von Glück sprechen können.

Ruhe im Saal. Ich möchte jetzt nämlich einen sehr scharfsinnigen Begriff definieren. Der Begriff ist All und ist dadurch, und zwar hinreichend und exklusiv, bestimmt, dass es der allgemeinste Begriff ist auf der ganzen Welt. Er verweist auf sich selbst und beinhaltet sich also selbst. Der ein oder andere Philosoph würde sagen, dass er sich bewegt. Und jetzt möge mir niemand ins Wort fallen, dass dies ein Widerspruch ist. Wenn es doch ein Subjekt wagen sollte, dann werde ich an der Kasse seine Eltern ausrufen lassen, ist das klar?
Wenn wir uns momentan um die Architektur des Gegensatzes zwischen Traum und Welt kümmern wollen, um die kuppelförmige Brücke über das All, das selbst nicht mehr begrifflich ist sondern strukturell die Überwindung des Gegensatzes zwischen zwei vollkommen identischen Dingen... einfacher gesagt, wenn wir uns jetzt ein algorithmisches Rezept zurechtgelegt haben, unsere Träume später zu überwinden und damit die erste Phase betreten haben – ausgezeichnet durch die Erkenntnis der These und damit augenblicklich mit der Möglichkeit verbunden, die Gegenthese plattentektonisch zu formieren und zu beeinflussen –, dann ist doch folgende Frage abschließend noch interessant und überaus intelligent.
Reicht unser jetzt erlangtes Bewusstsein, um den Übergang in Phase zwei ansatzweise für uns vorstellbar zu machen? Eine dumme Frage. Wie aus einem Kind. Denn an diesem Punkt wird längst nicht mehr begreiflich sein, was eine Vorstellung ist. Die Antwort ist also ein mehr als nein, ein Meer aus nein, ein zweihundertfünfzigprozentiges Nein. Das stärkste Nein, das derzeit auf dem Markt ist. Es wird die Kernfusion des Seins zur Entfaltung eines Gegenstandes, dessen Innen sein Außen ist, zustande kommen, und zwar ohne nur eine Sekunde zu verbrauchen, am Schluss von Phase eins. Und "was" wir dann vor "uns" haben, wird es nicht mehr geben, denn was viele nämlich nicht wissen – ich erlebe das bei meinen Vorträgen in den Betriebsräten immer wieder – ist, dass Identität in sich verschwindet. Widersprüche existieren, Identitäten nicht. Es wird der Zustand eintreten, in dem wir Infrarotlicht husten und abstrakte Räumlichkeit koten. Unsere Popel werden Kometen sein, und man darf sich etwas wünschen, wenn sie verglühen. Genau genommen ist es kein Zustand mehr schon, aber ist ja ohne etwas immer so, dass alle Leute in der Fußgängerzone auf die Frage, ob ich mich in einem Zustand befinde, mit – siehe Sternchen – antworten.

Also. Wir wollen uns sammeln. Wenn wir früher nicht der Mensch sein konnten, der wir aus jetziger Sicht sein wollten, dann müssen wir nur für einige wenige Minuten in die Knechtschaft kriechen. Im Anschluss, wenn wir Wissen wissen, können wir nun das Beste für die nachfolgende Generation von Momenten herausholen. Aber sowieso: Niemand ahnt die grandiose Freiheit der Vierzigjährigen und angeblich 'Ent-ichten'. Nicht einmal sie selbst.

Keine Kommentare: