Zeitschrift für Sprungkraft und Leuchtstoff

Das Gleichnis vom Bürgermeister

Mir wurde neulich telefonisch von der iberischen Halbinsel aus mitgeteilt, dass ich es meinen Lesern (es gibt sie?) teilweise schon zu leicht mache. Ich lasse mich nicht zweimal bitten. Im Folgenden eine kleine Geschichte. Belletristik. Die Form ist aus der Bibel entlehnt. Es handelt sich um ein Gleichnis. Bewusst unbiblisch und widerlich. Wer schafft es, das Ding zu Ende zu lesen? Ich habe es geschafft. Wenn man es aber nicht schafft, nicht schlimm. Im Gegenteil. Gehen die tiefen Erkenntnisse halt den Buckel runterrutschen.

Müde und im Uhrzeigersinn kommen die Branntweinbrenner auf Feuerrädern und erschießen die Weltveränderungen mit einem Speer, so lange nämlich, bis das kleine Bergdorf im Laufe der Jahrhunderte die Zehntausend-Einwohnergrenze erreicht hat. Wenn man den Bürgermeister dieses Fleckens fragt, was er auf eine einsame Insel mitnehmen würde, antwortet er nicht ohne Humor: Zahncreme und Bumerang. Nur zwei Sachen? Ja nur zwei. Sie dürfen aber drei. Aber der Bürgermeister schweigt. Ich werde ihn aber nicht eher verlassen bis er geredet hat, bis er einem althergebrachten Niesen das verwöhnte Obdach verwehrt. Er greift zum Alphorn. Wolle er nicht das Alphorn mitnehmen? Nein. Die Beichtgeheimnisse dieses Instruments gleichen einer achteinhalbfachen Hochsee neben der ein einschmeichlerischer Geschichtsschreiber beim Tauziehen erfriert. Es hätte keinen Sinn. Nur ein Alphorn mit Fernbedienung hätte Sinn, aber er wäre verschwindend gering. Ob nicht die Welt überhaupt keinen Sinn hätte. Doch, hätte sie, meint der mittlerweile fußkranke Bürgermeister, gelernter Altenpfleger und Nutznießer des Rechtsstaats, sie hätte einen Sinn, aber er wäre verschwindend gering. Ich beobachte ihn genau. Das gelebte Achselzucken hat hier im Kanton oberhalb des Hauses des vorlauten Glasbläsers eine spiralförmige Warteschleife zu durchlaufen, so lange nämlich, bis die Befürworter des Bunsenbrenners und die Befürworter der Limonadengeburt den Skilift unter die Autobahn verlegen. Der eisige Gebirgsbach schwemmt einen ausgespülten Pferdedarm in die gelbe Tonne im Tal. Sie ist aber schon voll und kippt um. Jetzt liegt das klebrige Ding auf einer Katze, die hinter dem Fachwerkhaus verschwindet, ebenfalls noch ganz klebrig, wie die Dorfjugend, die sich seit der Asternernte nicht mehr die Haare wusch. Ich frage abermals. Was wäre die dritte Sache. Vielleicht eine Waldbrandpatsche, schlage ich ihm vor und kaue auf einem Nussknacker aus Edelstahl. Es klingt als würde ein Schleifstein durch ein Tierheim wüten. Ich richte mir das Gebiss zu Grunde, wenn ich so weitermache. Was eine Waldbrandpatsche sei, fragt er, unschlüssig, ob er den Bierbrauern am Siedlungsrand mit einer Lohnsenkung die Auswanderung schmackhaft machen soll. Er errötet wie ein Gewehrlauf bei der Gartenarbeit. Ein mit Löschschaum eingeseifter Feigenbaum wächst aus dem Schornstein des Rathauses. Für solche Scherze ist hier Zeit. Nein, ich brauche nur zwei Dinge. Ein drittes brauche ich nicht. Ich finde, er entspricht mit seinem Hang zur Weissagung einem eingepferchten Pedalkugellager in der Umlaufbahn eines angedauten Taschenrechners. Ich beschimpfe ihn, er reagiert mit einer Flugrolle in eine brennende Kleinkunstbühne. Ich laufe im nach und erwische ihn fast doch nicht am linken Fuss, es fällt ihm ein Küchenbrett aus der Brusttasche und ich male nicht ohne Kindheitserinnerungen einen Meteor darauf. Ich drücke hierzu süßen Senf aus einer Talgdrüse am Waldrand. Eine dritte Sache, verdammt! Nein, niemals. Das Neonlicht nervt, ich werfe es zusammen mit den Insektenmodellen zum Imker, damit er es bei Zigeunern gegen Ziegenbutter tauscht, wenn er will. Ich dürste jetzt aber nach der Antwort. Ich sehe meinen Stolz bereits verletzt. Der Schweiß macht meinen zehn Zentimeter dicken Wollanorak durchsichtig. Wie kann das sein? Ein Wunder, es ist ein Wunder. Der Bürgermeister sieht es zuerst. Tatsächlich. Durchsichtig. Ich lasse sie in Frieden, sage ich ihm. Ich bekomme es mit der Angst zu tun, und obwohl ich der zehntausendste Einwohner wäre, nehme ich die Schnellbahn zum Friseur. Während ich zum Schmelzwasser führenden Abwasserhahn rudere, schreit mir der Bürgermeister hinterher, fast schon nicht mehr zu hören. Was? Nur fast? Ich kann es wirklich nicht mehr hören. Ich verstehe dich nicht, ehrenwerter Mann! Was sagen sie? Das dritte? Was? Ich lehne mich aus dem Zugfenster, aber schon komme ich mit beiden Händen in die Rotorblätter. Zum Glück ist der Kachelofen aus. Trotzdem, die Kanuten schimpften mich noch viele Jahre auf gälisch.

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