Zeitschrift für Sprungkraft und Leuchtstoff

Tränengussform

Manchmal sind wir traurig. Die Dinge werden sich entwickeln ohne uns danach zu fragen. Manche Teile der Vergangenheit, mitunter die schönsten, verblassen, lassen uns im Stich, und später wenn wir im Leben darauf zurückkommen, ist nichts mehr da, alles ist im Arsch. Wir hatten niemals etwas unter Kontrolle und dann werden wir auch noch traurig, und fragen uns, hat es denn einen Grund, in dem Sinn, dass wir es uns nur vormachen, dass wir traurig sind. Das ist dann schon mal scheiße, denn dann sind wir nicht tieftraurig. Wenn wir traurig sind, weil wir eigentlich etwas bereuen, und uns aber verarschen wollen, weil wir uns cool finden zum Beispiel. Wenn wir traurig sind, wenn wir Fehler gemacht haben. So ein Schrott. Normalerweise machen wir keine Fehler. Zumindest nicht solche. Jetzt hat man aber doch einen gemacht. Etwas was mit Menschen zu tun hat. Und Verantwortung übernehmen ist uns nicht auf uns selbst bezogen genug zum Beispiel. Was ist der richtige Weg? Bei jedem Grund: Traurig sein, und erst gar nicht versuchen, dass ganze in den Trockendock in der Werft für Aufbau von Erfahrung legen. Wir denken nicht über uns nach, wir sind traurig. Immer brav traurig sein. Immer wieder bei solchen Gelegenheiten, wenn wir zum Beispiel jemanden aus Fahrlässigkeit oder gar Faulheit Schaden zugefügt haben. Und dabei mit den Jahren einen astreinen sentimentalen, melancholischen Charakter entwickeln. Wir können die Welt nicht ändern. Sie ist ein Tränensack. Und es is total warm dadrin. Da werden wir ja richtig gemütlich und müde! Voll gut kuscheln!
Nein. Wir dürfen auch Gründe haben traurig zu sein, aber nicht alle. Wenn es von innen kommt, ist es okay, sagt Dr. Sadsky, Arzt für Ausscheidungen aus D-42531 Remscheid. Aus der Milz heraus oder dem Darm. Wenn es in nicht zu kleinen Kötteln kommt oder zu milchig, zu angedaut. Wenn ein elektronischer Milchzerstäuber für latte macchiato darin zum Stocken kommt, ist es zu hart. Aber zur Sicherheit den Aufladestatus der Batterie überprüfen. Oder. Wenn man die Pumpe in der Schluckvorrichtung spürt und der Mund trocken ist, weil alles in Traurigkeit umgewandelt wurde. Traurigkeit ist in Wirklichkeit entsprechend umgewandelter Speichel. Wenn die Beine so schwer sind wie der Rest des Körpers und umgekehrt. Wenn einem die Schluckvorrichtung schmerzt, und das obwohl man gerade sein Lieblingssüßwasserfischmus frisst.

Können wir heutzutage, wir meinen, in unserem Alter, bei unserem Erfahrungsschatz und der ganzen charakterlichen Reife, mit der wir mittlerweile im Spiel sind, eigentlich noch traurig sein? Es gibt dazu ein altisländisches Sprichwort und das wollen wir jetzt wissen. Es lautet (sinngemäß), dass nur Kinder und bestenfalls Heranwachsende traurig sein können. Gut. Wir haben schon zuviel Realität gesehen und zuviel Schmerz, die Depots zur Generation trauriger Zustände sind versiegt, wir haben die wildesten Emotionen hinter uns gebracht, haben gekämpft, sind daran zerbrochen und wollten nicht aufgeben, stumpften also ab, haben uns eine flache Frisur zulegt und einen dachsgrauen Blick, haben auf unsere Lider die geilen neuen Regenreifen von Vredestein aufgezogen und rutschen jetzt nicht mehr aus, wenns mal pisst. Wir sind nur noch Beobachter, wir nehmen am Leben nicht mehr teil.
Aber es gibt noch ein Sprichwort. Ein altserbisches. Es lautet, nur der Greis, der alte Mensch, ist wirklich traurig. Man braucht die Erfahrung, um wirklich traurig sein zu können. Man muss auf das Elend zurückblicken, es mit dem Gegenwärtigen messen, und dann überwältigt es einen. Niemand ist so traurig wie meine Oma. Aber alle sind wir blind und können es nicht sehen. Worüber soll ein Kind denn auch traurig sein. Es hat nichts erlebt, weiß noch nichts vom Glück und von der Abfalldeponie, wo es manchmal stinkt. Es kann ja nur leeres Gefühl haben, reine Biologie, Tränenflüssigkeitsabfuhr zur Regulierung des innerkindlichen Wasserhaushalts, mein Gott, es war zu wenig Kochsalz im Kind, ja, was sollten wir denn machen, wir hatten ja nichts, also haben wir es weinen lassen.
Jedenfalls, wer hat den jetzt recht? Island oder Serbien. Wollt ihr uns umzingeln? Ach ich denke es handelt sich hier um keine nationale Frage, sondern um eine Frage der wirtschaftlichen Zusammenarbeit. Wir m ü s s e n gewährleisten, dass der Endverbraucher wieder Vertrauen in den Markt hat. Wir müssen auch für den Mittelstand Investitionsanreize schaffen, die den Standort ökonomisch attraktiv machen und für eine Verbesserung des Geschäftsklimas sorgen!
Sicher ist wenigstens aber dann, dass Menschen mittleren Alters niemals traurig sein können, oder? Nein, nein. Denn es gibt ein altfranzösisches Sprichwort. Wir sind neugierig. Wie lautet es denn? Nur Menschen mittleren Alters können traurig sein. Ja, genau, die Mischung, die ausgewogene Balance der differenten Sorten, die mixtura estremadura aus Erfahrung, Lebenswandel, Freud und Leid, Erlebnisgastronomie und Schweinestall u n d Unbefangenheit, Unberührtheit, Natürlichkeit, Echtheit, eigenem Universum, Autonomie, meine erste eigene Blume. Nur so kann man wirklich traurig sein.

Aber wenn wir jetzt darüber nachdenken, spekulieren, was traurig sein ist, dann können wir nicht mehr traurig sein. Wenn wir als Menschen die Möglichkeit haben, kraft unseres Geistes, zu reflektieren, wie es uns geht, dann geht es uns anders, bevor wir wissen wie es uns denn jetzt geht. Das ist genau so wie bei Musik oder Kunst. Wenn wir die Sonaten musikwissenschaftlich analysiert habe, können wir nicht mehr darin versinken, wir müssen die ganze Zeit an den Trugschluss und den vertrackten Harmonieskandal dieser dreiteiligen Liedform denken. Oder wie bei leckerer Literatur. Wenn wir sie analysiert (ppfff) haben, können wir gar nicht mehr wirklich darin abkacken und uns durch die Seiten treiben lassen, denken an die Intertextualitäten aufgrund der Jugendfreundschaft des Autors mit dem Dramaturgen Krätzflock und an den tragischen, frühen Tod der Schwester des Dichters - gerade als er in der Arbeit an seinem Hauptwerk steckte und jüngst bei Ferdinand Schwerdthagen am Pariser Konservatorium durch das Klarinettenexamen geflogen ist. Wir können gar nicht mehr durch die Seiten springen, als wären wir selbst der Schreibkopf der Schreibmaschine, mit der sie geschrieben wurden. Gefügig, neugierig und wild at heart.

Wir können uns das Hirn zermatern bis uns ischämisch wird. Und wir haben auch keine Lust mehr. Gerade jetzt, wo wir noch gar nichts gesagt haben. Wo gerade ein paar Aspekte auch nur unzulänglich angedeutet wurden.
Nein. Nein. Die Rationalistin kann nicht traurig sein, denn sie ist nicht, weil sie fühlt, sondern weil sie denkt. Also doch? Eigentlich ist sie uns egal, denn sie ist, denn sie ist, ja, ja, ratio-anal.
Die Empirikerin weiß, dass Traurigkeit nicht messbar ist. Aber die soll erst mal ihr Messgerät mit genau diesem Messgerät messen, bevor wir weiterreden.
Die Ontologin weiß, Welt oder Traurigkeit. Nur eines kann existieren. Denn Traurigkeit hat keine Eigenschaften. Und das einzige was keine Eigenschaften hat, das ist das Sein. Traurigkeit als Unterkategorie von Sein kommt nicht in Frage, denn nur Seiendes hat Unterkategorien. Familie, Gattung, Art von Traurigkeit. Was soll das sein? Das Seinsseiende kann bestenfalls traurig sein. Aber wovon? Von einem Dasein? Aber laut Ontologin gibt es sowieso nur ein einziges Gefühl. Sie legt alles zusammen, Freude, Lachen und Weinen, und Stickstoff und Sauerstoff, und Enge und Weite und sich in höhere Widersprüche "auflösende" Widersprüche und bis sie stirbt, soll das Gemisch so intensiv sein wie die Sonne, damit sie gelebt hat und Mensch gewesen ist. Das ist ihr moralischer Imperativ. Werde intensiv.
Und was weiß ich? Ja, was weiß ich. Manchmal ist halt blöd, das alles. Arbeitshandschuhe und Clownsnase anziehen. Weitermachen und aufhören, wenns genug ist. Viel erleben. Alles mal anfassen und sich dafür aufrichtig entschuldigen und erst reden, dann denken, wenn ich zum Beispiel nach oben sehe, Analyse zerstöre Gefühl und Möglichkeit der Kontemplation. Das halte ich für Quatsch. Natürlich kann man Tränen auf Millimeterpapier tropfen lassen.

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