Zeitschrift für Sprungkraft und Leuchtstoff

Dilemma

Heute widmen wir uns einem ganz und gar unfassbaren Satz aus einem großen literarischen Werk. Er hat mir so den Kopf verdreht, dass ich auch das Buch beim Weiterlesen mit dem Buchrücken zum Oberkörper halten musste. Das heißt, ich habe es gar nicht mehr gehalten sondern auf den Tisch gelegt, und bin beim Weiterlesen einfach aus dem Raum gegangen. So dass es das Buch nicht bemerkt hat und "lalala mir gehts gut, ich werde gelesen"... Bücher sind so leicht hinters Licht zu führen. Achtung. Es handelt sich um Weltliteratur! Nun, aber was ist Weltliteratur? Nochmals nun, ich denke das ergibt sich zur Gänze aus dem Zitat. "Die Haferschleimsuppe kam und sorgte wieder für eine Menge Redestoff - für viel Lob und viele Bemerkungen und die entschiedene Behauptung ihrer unzweifelhaften Bekömmlichkeit für jede Konstitution sowie für eine ziemlich harte Strafpredigt an die vielen Haushalte, in denen niemals eine anständige Haferschleimsuppe zu bekommen sei; aber leider befand sich - ein erst vor kurzem geschehener und daher besonders markanter Fall - unter den Versagern den die Tochter anführen mußte, ihre eigene Köchin in South End - eine junge Frau, die für die Zeit dort angestellt worden war und die nie hatte begreifen können, was unter einer Schüssel schöner, weicher, dünner, aber nicht zu dünner Haferschleimsuppe zu verstehen ist." Wow? Damit unterscheidet sich idealer Schleim nur unwesentlich von unserem Universum in seiner Anfangsphase: klein, heiß und dicht. Aber jetzt mal in klaren Worten. Wir essen ja sowieso alles furchtbar gern, was weich und dünn ist, oder, mal ehrlich? Und wenn es dann auch noch schön ist? Ja wirklich, unschätzbar köstlich, schöner und dünner Schleim, und so weich. Wie kann man das denn nicht begreifen. Sollte man vielleicht ein Lehrbuch dafür herausgeben? Oder gleich zuschlagen, wenn irgendeine vollkommen dämliche Person das nicht verstehen kann. Übrigens, ja fast, aber was man in der Toilettenschüssel von Zeit zu Zeit antrifft ist nicht schön. Obwohl, wenn man es relativ betrachtet. Aber jetzt noch ernsthafter. Sie haben die Rhythmik im Zitat bemerkt? Wirklich? Da haben Sie sich etwas vorgemacht. Es gibt keine. Es ist ohnehin eine Übersetzung, aber - na gut - ich denke, über das Vorhandensein einer ganz königlichen 'semantischen Rhythmik' kann man mit sich reden lassen. Die einzelnen inhaltlichen Bedeutungsbereiche, samt ihrer Quantisierung und ihren Proportionen untereinander - klaro, kenn ich, is' doch Weltliteratur, komm ma rübber Rainer (hat schon wieder sein Zimmer nicht aufgeräumt) , Udda hat Weltliteratur für de Boppes. Und zack. Immer schön ausholen mit dem dicken Buch. Ist ja Weltliteratur. Bis der Hintern so rot ist wie ein Drittel der Flagge. Kann es übrigens sein, dass man die Farbe der Deutschlandfahne überhaupt erst so ermittelt hat? Spass, ich bin total patriotisch. Gehört jetzt aber nicht hier rein. Aus dem Hintergrund: Mama, du sollst doch nich' so viel lesen. Und aua! Nein, das kann man schon attestieren. Wie die einzelnen Bedeutungsebenen ein lebendes Ganzes, ein atmendes Sein ergeben, in ihrer Symorphie und rekursiven Bivitalität, zeugt von Könnerschaft und Poetentum. Und das Niveau wird auch über das ganze Buch hinweg gehalten. Über das Buch hinweg? Was meinst du? Ach, über dem Buch? Das Niveau liegt über dem Buch, es wird darüber gehalten. Das Buch liegt also unter allem Niveau? Rainer! Nicht denken, aushalten! Zurück zur semantischen Rhythmik. Zum Zitat: "... ein vor kurzem geschehener, und deshalb besonders markanter Fall." Das erzeugt ja bereits eine gewisse Logik, alles weitere im Buch wird kohärent und inkohärent sein dazu. Letzteres ist der Fall. Es werden viele derartige Sachen gesagt, die gar keine reale Entsprechung haben oder nur sehr eingeschränkt gelten. Was da für komische Dinge stehen in dem Buch, zum Beispiel, etwas eindrücklicher als eben: "Die menschliche Natur ist allen, die sich in einer außergewöhnlichen Lage befinden, so wohlgesinnt, daß über einen jungen Menschen, mag er heiraten oder sterben, mit Sicherheit nur Gutes gesprochen wird." Was? Das ist einfach nur bizarr und mehr auch nicht. Oder besser, sinnlos. Aber bevor wir es vergessen. Wo kommt denn dieses ganz feine Zitat denn eigentlich her? Antwort: Es handelt sich um die Belohnung für die Lektüre von 116 vorangegangenen Seiten von "Jane Austens literarisch bedeutendste[m] Roman" (Klappentext): Emma. Ein krasses Buch. Und selbstverständlich Gegenstand literaturwissenschaftlicher Seminare. Ja, das Buch ist schlimm. Wen wundert es, wenn Haferschleim für jede Menge Redestoff sorgt. Das muss man sich mal vorstellen. "Jede Menge Lob" also... Die ganze Kommunikation zwischen den Leuten in der Handlung besteht aus leerem, adeligem Blabla. Und das innerhalb eines Wertesystems, das eigentlich in seiner positiven Ausrichtung vollständig genannt ist, wenn Emma, "schön, klug und reich" ist. Bei dieser ganzen Heiratskuppelei, meine Güte, wie oft da jemand vornehm ist und vermögend, und von Scharfsinn, und Manieren glücklich bekränzt (besser: begrunzt). Unerträglich. Das ganze Vakuum der, der ganze Autismus der Aristokratie. Damit hätten wir, wenn wir mal flink verallgemeinern, das zweite Kriterium von Weltliteratur: Flach. Das erste war übrigens unsinnig. Man kann sich als Außenstehender überhaupt nicht vorstellen, wie man in diesem Buch sprachlich und inhaltlich (eigentlich passiert aber dann doch nichts) eingesülzt wird, eingerieben mit warmen Eischaum. Schön, weich und dünn... Es ist sehr gut möglich, dass ich bei der Lektüre öfters epileptische Anfälle hatte, einen besonders heftigen womöglich als ich die obige Stelle gelesen habe, aber es war ja niemand dabei, und ich, wenn es denn so ist, erinnere mich eh nicht mehr daran. Ja, aber jetzt ist auch schon genug. Wir wollen uns nicht langweilen. Vielleicht übersetze ich das Buch in meinen Alterstagen in Ook!. Das wäre sprachlich die passende Form. In Ook! kann ich ja nicht direkt übersetzen, aber ein Programm schreiben, dass das ganze dann auf den Bildschirm wirft. Sie kennen Ook! nicht? Das ist eine Programmiersprache für Orang-Utans und isomorph zu Brainfuck. Sollten Sie sich mal mit beschäftigen. Es gibt jede Menge esoterische Programmiersprachen. Zum Beispiel auch cow. Ich bekomm's nicht aus dem Kopf: "Ziemlich harte Strafpredigt an Haushalte"... Wahnsinn. Wenn ich mal Lehrer sein sollte, stelle ich das mal in einer Schulaufgabe. Formulieren Sie über vier Seiten eine derartige Strafpredigt, am Rand steht dann: Erreichbar: 0 Punkte. Vier Seiten und trotzdem 'ne Sechs. Finde ich auch richtig so, denn man lernt für das Leben und nicht für die Schule. Ehrlicherweise muss ich dazu sagen, dass ich das Buch genau wegen solcher Zitate ziemlich gut und abartig fand. Es ist eigentlich schon ein lohnenswerter Trip, wenn er halt nicht so lange wäre. Das Warten durch die Langeweile hatte sich dann doch wieder gelohnt beim Lesen, wenn plötzlich so ein Hammer kam.

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