Zeitschrift für Sprungkraft und Leuchtstoff

Manchmal geht es dem Heiner wie der Clara.

Clara hatte genug von ihrem langweiligen Leben, dieser Einöde, den lauwarmen und gemäßigten Farben, dem ganzen eingefallenen Nichts, was war ihr Zimmer, es war ein Käfig und diese Stadt, sie war, was war sie, ein Gefängnisplanet. Mit einigen wenigen Monden, die man nicht sehen konnte, weil draußen Bücher vor der Scheibe waren und frühe Stummfilme und meisterhafte Kupferstiche. Sie wollte sich losreißen, sie wollte eine Tigerin sein, und das Leben packen und es zwischen den Zähnen zerreißen und es schmecken und schließlich auf den Boden schleudern. Und aus den Wunden dieses geschundenen Leibes als Orchidee in die Solarsysteme sprießen, ihren Blumenkörper elegant wie eine Melodie zum Himmel heben. Sternenbilder furzen. Raumschiffe ablecken. Und im Anschluss daran zu einem der Monde springen, leichtfüßig, irgendeinem Dozenten seine blöde Publikation in die Magengrube kicken, zielsicher, über alles erhaben, und schließlich athletisch um etwas anderes kreisen als um sich selbst. Aber das wusste sie nicht genau. Sie war sich im Unklaren. Denn sie lebte in den Tag, sie lebte so sehr in den Tag, dass sich ihr Magen davon ausgepumpt und ausgeraubt anfühlte. Müde war sie immer. Du brauchst einen Ausgleich, sagte ihre Mutter, und Clara, sie dachte sich, es muss doch Philosophien geben, mit denen es theoretisch im Möglichen ist, älter als dreissig zu werden, ohne dass zuvor die eigenen Wünsche untereinander im Analsex alleine scheinbefriedigt sich haben. Nein sie lebte den Tag nicht, der Tag lebte sie, er war ihr enges Außenskelett, ihr Anti-Organisations-Korsett, was mal überhaupt nicht ging, nicht in dieser Stadt, in der sich Einatmen wie Ausatmen anfühlte, und Ausatmen - fühlte sich an wie immer. Dieses kleine miese Studium, diese kleine miserable Teil. Damn it. Man hatte nichts anderes mehr im Kopf. Aber jetzt wollte sie Tempo machen. Auf die Tube drücken. Es krachen lassen. Den Nitro zünden. Sie würde ihr Studium durchziehen, aber so was von, und jetzt wäre endlich Schluss mit der unproduktiven Pendelei. Man war so unterfordert, dass man plötzlich überfordert war. Die kreative Clara. Was hatte sie vor. Bald schon. Bald schon würde sie ein Atelier eröffnen, erst in Wiesbaden, dann in Hamburg, Berlin und New York, sie würde ausstellen, der Welt ihr genialisches Erbe offenbaren, würde im Kunstgewerbe und Kunsthandel zur Großfigur avancieren und auf allen Hochzeiten tanzen mit Schuhen für 7500 Euro und Schnürsenkeln aus Glück. Und einer Galerie nach der andern würde sie den Kopf verdrehen und die Kunstlandschaft dominieren und unterwerfen, sie war so kacke begabt, Kyrie eleison, sie war so fantastisch begabt, aber mit diesem Studium hier, da kriegte man es ja noch maximal hin Karotten in die rote Soße zu den Spaghetti zu schneiden und zu studieren. Man war gefesselt und nicht mächtig. Da hatte man keine Lust plötzlich sich die Zähne zu putzen, und das obwohl man so gut erzogen war, eine Verrohung überkam einen da in diesem akademischen Maulkorb für die Fantasie, man wusste nicht was man machte, man fuchtelte so dummblind im Gestrüpp herum, wie Aristoteles mit seinen Argumenten. Jeder noch so kleinliche Hilfsjob hatte sie mit mehr Stolz und Lebensgefühl erfüllt als dieser sterile, methodisch antiquierte Quatsch namens Studium. Morgen schon würde sie ihr Studium abbrechen. Ab morgen würde sie in eine Gegend ziehen, in der es endlich gefährlich wäre. Wo mit Schmetterlingen gefüllte Kakteen auf sie warteten, um sie aus dem Vakuumballon zu befreien. Yeah, Schnauze jetzt.

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