Zeitschrift für Sprungkraft und Leuchtstoff

Sprache anhand eines Gartens

Eingerahmt von Häusern, wie eine blühende Hochalm von schneebedeckten Bergen in einer Folie des göttlichsten Blau, bot sich dieser innere Hof da, diese lebendige Herzkammer zwischen den Betonscheidewänden des städtischen Krimskrams des abermals und immer Gleichen. Diese vor Glück atmende Fläche zog sich ungewöhnlich weit in die Länge und nicht so sehr in die Breite, sie hatte das Format eines länglichen Stoffstreifens, den man sich, getränkt mit arktisch kalter Kräutertinktur, zur Erfrischung über Stirn und Schläfen legt, um sich zu vitalisieren. Vom sommerlichen Nebel der Lust eingehüllt befand sich von hellem Vogelzwitschern erfüllend durchdrungen in der Mitte dieses idyllischen Refugiums, das heißt mit nur noch einen schmalen Asphaltstreifen Abstand zu den Häusern, eine wunderbare Gartenfläche in der Form eines langen Ovals, seitlich zudem durch zwei Kreisflächen ergänzt und umgeben von privaten Kleingärten von Grundstücksgrößen im niederen zweistelligen Quadratmeterbereich. Die Differenzen zu den jeweiligen Nutzflächen gaben sich nicht viel.

Um diese Fläche herum führte also eine Straße an den Wänden des rechteckigen Hofes entlang, und zwar spulenförmig mehrfach, jeweils mit einer Breite von etwa einem Meter, so dass sich die Gesamtbreite der Straße auf etwa drei Meter belief. Hier fanden die Dinge des Alltags und der Notwendigkeit Platz, Abstellplätze und Container - die für sich schon ein Farbspektrum formten -, kleinere Schuppen für Gerätschaften und weitere Möbel. Defekte Holzstühle mit Grünspan und gebrochenen, patinierten Leisten, schmutzige Gummibälle, denen es an Luft fehlte übrigens auch.

Wenn vieles auf das Spielen von Kindern hinwies, dann doch am meisten sie selbst, die allen Orts einander hinterherjagten oder sich sonst die Zeit vertrieben im Grün unter Bäumen oder sonstwo, wo auch immer ihre innige Freude sie anstachelte umherzutollen. Auf den Balkonen saßen und standen Menschen, die zur Ruhe gefunden hatten hinter auftrumpfend farbigen Pelargonien und Petunien, man las, gab sich geliebten Beschäftigungen hin oder trank etwas. Die Katzen tänzelten schnippisch und schmusend über die Natursteinbalustraden und gaben sich der arttypischen Faulheit hin, die man ihnen lächelnd gönnte.

Um die einer Wolke ähnelnden Gartenanlagen, die jedermann zur Verfügung standen, waren also die privaten kleinen Schrebergärten angeordnet, so dass das Rechteck bis zur Straße hin ökonomisch intelligent ausgenutzt wurde. In Architektur und Erscheinung hoben sich die vielen einzelnen Gärten stark voneinander ab. In dem teilweise nur äußerst knapp zur Verfügung stehenden Räumlichkeiten realisierte man nichtsdestotrotz bisweilen schiere Unglaublichkeiten. Man fand originalgetreue Nachempfindungen säulengetragener Tempelgebilde oder terrassierte Anlagen nach dem Vorbild historischer Gärten ebenso wie schlichte Rüben- und Kohlbeete an deren Rändern man Gießkannen und Gartenharken vergessen hatte. Neben der Züchtung von Zierpflanzen wie Orchideengewächsen oder der Pflanzenveredelung widmete man sich gleichermaßen dem Treiben auf Rasenflächen, die man durch Eintragen entsprechender Markierungen zu Sportfeldern erhoben hatte, auf denen verstreut Plastikenten, Gummikeulen, Schaukelpferde oder Spielzeugschusswaffen daherlagen. Unter einem Tisch klebte ein Kaugummi.

Eine sechskantige Mitte wurde von der edlen wolkenförmigen Gartenformation gefasst wie ein hochwertiger Stein in den Goldfingern einer teuren Schmuckbrosche aus wertvollem Steinzeug und lag unter sprühender Blütenpracht und bizarren Blattformen überwältigender Schönheit, überragt und in kühle Schattenhaftigkeit getaucht von fremdländischen Bäumen und exotischen Pappeln. Diese trugen unterdessen ausnehmend köstliche Früchte. Ein kluges System von künstlich angelegten Wasserläufen sorgte für das Lebenselixier von Menschen, Pflanzen und Tier. Das Gelände wurde verziert durch kunstfertige Statuen und Statuetten, prunkvoll und bescheiden zugleich, zwischen Bögen und mosaikbesetzten Arkaden fanden sich die tollkühnsten der erdenklichen Springbrunnen und Wasserspielanlagen. Auf den Dächern vieler kleiner Gebäude, ragten aus Gips modellierte Palmen auf, und auf dem Dach des Hauptgebäudes thronte aus chinesischem Kunstporzellan gebildet ein im Sprung gefangenes Einhorn mit meterlangem Stachel, das den erstaunten Betrachter mit seiner witzig expressionistischen Spielart und Gestaltung verblüffte. Ein Bein der respektablen Skulptur zum Beispiel ragte, einen schnellen Polygonzug formend, sich mehrfach zergliedernd in Schlaufen durch die Luft, wo es kantig spiralförmige Linien aufspürend den Raum noch harscher dominierte als der eigentliche und fast lebendige Körper. Schließlich fiel die Figuration dieses Beines geschlagen nach unten gen Boden, so dass die Skulptur mit dem Fuß, der in einem etwa fünfzig Meter tiefen Graben in der Wiese eingelassen war, etwas entfernt von dem ausgehenden Gebäude in galoppierend-schizophrener Tragik abschloss.

Gebändigte Schlingpflanzen und wachsende Girlanden dehnten sich verdreht, kleine aufragende verzwirbelte Obelisken berührend, von Stamm zu Stamm, und zu Leibern zugeschnittene Rosensträucher sowie Buchsbaumheckenlabyrinthe setzten sich durch das Ganze hindurch, das als solches, wenn man sich in ihm befand, den Blick nur noch auf die Oberkanten der umliegenden Häuser gestattete. Der lästige Großstadtlärm wurde von plätscherndem Wasser, Hundebellen und Geräusch von Getier und Mensch abgewehrt.

Seitlich davon befanden sich zwei mittelgroße kreisförmige Areale, die den Eindruck erweckten, hier sei nie etwas anderes als Zeit gewesen.
Urtropisch und als eine Frühform von Natur versank auf seine Weise ein jedes der beiden kleineren, seitlichen Gebiete in stickiger Feuchte und Hitze krummbucklig in seiner verknäulten Silhouette. Die nass glänzenden Auswüchse verschwammen im filzigen Dunst schwirrender Insekten und lodernder Pollen und Sporen. Es ging ein grober, betörender Duft heraus von diesem windlosen Nebel verfallener grüner Grotte. Im Inneren regneten Blütentupfer aus allen Gegenden der Farbe von überall her in das Bild hinein und säumten die Umrisse von scheinbar aus ihrem eigenen Fleisch heraus leuchtenden Fruchtkörpern, die sich darüber hinwegstreckten, wie bereits abgeworfene, angefressene Früchte stechend-süsslich auf dem morastigen Boden faulten. Ein Volk aus schimmernden Raupen und fetten Schnecken bewohnte diesen gärenden Brei. Libellen und Flügelwesen stoben durch das harzige Gestrüpp hin und wieder nach außen, von wo aus diese Anhäufung verwilderter Verwahrlosung wie das letzte unangetastete Stück Schöpfung fantastisch und smaragden wirkte. Kaum zugänglich, beziehungsweise nur unter geduldiger Auseinandersetzung mit lästigen Kletten und zurückpeitschenden Zweigen, die so die spiegelnden Tropfen dicken Pflanzensaftes verschleuderten, beherbergte dieser Flecken doch auch Aushöhlungen und zu Plätzen zertretene Pfade. Sie wurden von Meditierenden oder Traurigen zur Andacht genutzt, wenngleich es dort dem Odem versumpfter Tümpel standzuhalten galt, die blasenwerfend und schlackig unter verfallenen Gehölz von kriechendem Gewürm bekrabbelt wurden. Auf den wenigen offenen Lichtungen hatte man Schwitzhütten aus Lehm errichtet. Im Winter fror der Schleim.

Und wie sich dort eine Unzahl breitmauliger Pilze über die Rinden und Stämme zog, so waren auch die Fassaden der umliegenden Häuser zahlreich mit Überhängen, Einbuchtungen und Ausschüben bestückt, so dass mittags ein zersplitterter Schattenwurf auf den Boden kam, der sich in der Zeitspanne bis zum Sonnenuntergang über die dicken Blumenkübel und Regenfässer beugte und sich an den Fenstersimsen und den daran abgestellten Gartengeräten, Schalen und Eimern entlang hangelte. Die Reihe dieser Sachen wurde bald abgelöst von den Welldächern einiger Blechverschläge, auf denen Plastikflaschen und anderes Verbrauchsgut in abgestandenen Pfützen einen auf Spiegelbild machten.

Gegenüber des bereits von Schmetterling und Vogel in Anspruch genommenen Durchgangs war die alleinige Hofzufahrt zu finden. Wobei, dem gewöhnlichem Gang der Dinge zufolge, feierabends mit dem Abfahren der zur Gartenpflege Angestellten die rotweiße Pförtnerstange hinauf und wieder herunter gelassen wurde und schließlich scheppernd in den Bügel sprang. Die Fahrzeuge verließen dann, hier, am östlichen Ende der heruntergekommen Verschläge dieses lausige Höfchen, während am westlichen Ende noch ein schmaler Weg nach draußen führte.
Es war ein wirklich sehr schmaler Weg. Sollten sich etwa zwei Radfahrer auf dieser Strecke begegnen, wäre es unmöglich aneinander vorbeizufahren. Begegneten sich zwei Fußgänger so war die Sache ganz einfach. Die eine Person ging einfach in die Hocke und neigte den Kopf nach vorne, so dass die andere über den Rücken laufen konnte. Wie ließ sich das aber bei Radfahrern erledigen? Entweder, so dachte man sich, verbat man es Radfahrern, hier entlang zu fahren oder man würde sich einen Kniff, einen ganz ausgefuchsten Kniff ausdenken müssen. Und das machte man. Der Neuling wunderte sich, wenn er zum ersten Mal den Weg benutzte, warum denn alle fünfzig Meter an der Seite des Weges, entweder an einer Wand oder an einem zu diesem Zweck postierten Pflock eine kleine Rampe aus vernagelten Holzplatten hing. Richtig! Auf diese Weise konnte ein Fahrradfahrer, der dann beträchtlich Anlauf nahm über den anderen herüber springen. Und das Beste: In der jetzt schon langjährigen Geschichte dieser Idee kam es noch zu keinem einzigen Unfall.

Der Weg, der sehr schmal war, nahm einen recht komplizierten Lauf. Es war fast so als hätte ein Kindergartenkind Farbkreidekreise auf einen Block gemalt, er war auch genauso bunt und tatsächlich: Dieser Weg war Gekritzel. Erst hob er sich auf die halbe Höhe der ihn einschließenden Bauten und führte dann außen an den Häusern des Hofes entlang. Dann ging es los. Quer und kreuz führte er durch die Stadt, ab und auf, Unterführung da, Brücke hier, Spirale nach oben woanders, Pirouette in die Schräglage dort. Er änderte Höhe und Breite ständig, wobei er natürlich niemals breiter wurde als einen halben Meter, und manchmal lag er so tief zwischen zwei Mauern, dass man ihn bei Regenwetter für einen Brunnen halten konnte. Manchmal mussten also Fenster in den Wänden, und manchmal auch in der Decke Licht spenden. Letzteres, wenn er gerade unterirdisch drauf war. Hatte der Planer bei einem belanglosen Telefongespräch gezeichnet und sein Assistent das Gekrakel später für den ersten Entwurf gehalten, worauf der Planer vielleicht verstarb, ohne die Chance, den Unsinn zu revidieren? Nein, denn dieser Weg musste natürlich gewachsen sein, ein sehr schmaler Tumor, aber ein schöner, und an einer Stelle war er mannshoch mit Treibsand gefüllt, so dass man entweder die Rampe benutzte oder mit Beinkraft sprang, um das Hindernis zu überqueren. Schließlich mündete er auf einen schlichten Parkplatz, wo unter anderem die Bewohner des Innenhofs ihre Fahrzeuge abstellten. Jemand hatte die weißen Linien der Parkplatzeingrenzungen mit blauen Fingerabdrücken tapeziert.

Unmittelbar außerhalb des Innenhofes und zwar gegenüber Hausnummer acht stand auf dem Weg, an einem Geländer angelehnt, die Frau mit viel Lippenstift. Sie war auf dem Weg zu ihrem Auto und hielt kurz inne. Sie sah zur Haustür und über das Kopfsteinpflaster bis dahin, dann blickte sie erneut zum Haus. Jetzt brach sie eine Zigarette durch und ließ sie fallen.


Bei diesem Text handelt es sich um Kapitel 3 des Textes "Stadt und Frosch". Ein Text, in dem ich unter anderem versuchte Handlungen mithilfe von Beschreibungen zu simulieren und zu diesem Zweck mit sprachlicher Verspieltheit und Manierismen schrecklich übertreibe. So dass jetzt schließlich vielen Leuten sicherlich viel Geduld abfordernde 50 Seiten (endlich) existieren, in denen selbstverständlich aber dennoch der absurdeste Kram "passiert". Im gleichen Text erhalten wir zum Beispiel Einblicke in die sportliche Karriere eines Unternehmers, dessen Erfindung eines speziellen Belages für Tischtennisschläger zur Gründung der Firma führte - und zum Abschied vom Profisport. Ein Thema, dass man ja in vorangegangener Gartenschilderung geradezu voraus"weiß". Wo und wann es den "Volltext" gibt, weiß ich allerdings noch nicht.