Zeitschrift für Sprungkraft und Leuchtstoff

Belanglose Bilder mit belanglosem Beta-Carotin

Auf den folgenden Bildern sind keine Menschen zu sehen - ich sage das, weil das ja etwas ist, was durch Betrachten nicht herauszufinden ist. Oder dachten Sie da anders? Aber sicher doch, glauben Sie mir, bei Fotos niemals. Das ist eben so bei der Fotografie. Wenn man nicht explizit darauf hingewiesen wird, dass Menschen abgebildet sind, dann kann man sie nicht erkennen. Und wenn keine abgebildet sind, dann wird man misstrauisch. So ist der Mensch. Fotografie ist eben, und da werden Sie mir rechtgeben, etwas unglaublich Verbales. Das heißt aber viel umfassender, dass man gar nichts erkennen kann, von dem was auf Fotografien abgebildet ist, wenn nicht zuvor mitgeteilt. Ein Umstand, den sich der menschliche Verstand zunutze macht mit dem Ergebnis, dass ein vollständiges Verstehen des Abgebildeten dessen Beschreibung nicht zur Grundlage hat, sondern bereits ist. Zum Vergrößern die Bilder anklicken.
Stellen Sie sich vor, Sie könnten die Augen nicht einfach öffnen und wieder schließen (sondern viel mehr als nur das). Stellen Sie sich außerdem vor, es gäbe genau zehn verschiedene Arten von Gegenständen. Und Sie könnten demnach die Augen auf zehn verschiedene Arten öffnen und wieder schließen, jedesmal mit dem Resultat, dass sie eben genau eine der zehn Arten von Gegenständen sehen könnten. Und die anderen nicht.
Ich habe heute Folgendes im Sportteil der Zeitung gelesen. Ein Fussballspieler wurde nach seinem Selbstverständnis befragt, wie es ihm im neuen Club ergehe, etc. Er antwortete:
"Wir sind wie graues Haar: Wir fragen uns nach uns und mit Vierzig sind wir plötzlich da."
Geschlossene Augen kann man im Übrigen genauso wenig schließen, wie man offene Augen öffnen kann. Probieren Sie es zu Hause aber bitte nicht aus.
Schlafende Menschen wachen niemals auf, wenn sie von schlafenden Menschen berührt werden. Werden sie von wachen Menschen berührt, wachen sie immer auf. Berührt ein wacher Mensch, der andererseits von einem schlafenden Menschen berührt wird, einen schlafenden Menschen, dann überträgt sich die Herzfrequenz des ersten schlafenden Menschen auf den des zweiten Schlafenden. Meist mit erheblichen Übertragungsfehlern.
Seien Sie ehrlich. Wieviele Bilder haben sie bereits angeklickt, um Sie zu vergrößern. Nein, nein. Ich meine nicht hier. Sondern draußen auf der Straße, in Ihrem Leben. Wie viele Menschen haben Sie in ihrem Leben bereits angeklickt, um sie zu vergrößern? Wie viele wollten das überhaupt? Auf wie viele Menschen haben Sie schon einen Doppelklick ausgeführt. Wie oft wurden Sie mit der rechten Maustaste berührt?
Der obigen Abbildung ist die Theorie der Selbstwahrnehmung nach Fuch zu entnehmen. Es finden (mitnichten) Deformationen statt, ein Vogel wird zu einem Schwarm, in dem er fliegt. Fuch bewertet in seinem Ansatz aber nicht, er sagt nicht, dass Selbstwahrnehmung deformiere, fehlerhaft sei, immer blinde Flecken habe, zu Tunnelblicken führe. Hier liegt genau das Spannende in seinem Ansatz, denn er sagt, dass wir wahrnehmen, aber wir nicht wissen, ob wir das Wahrgenommene sind, oder das Wahrnehmende. Ist aber egal. Führt auch nicht weiter.
"Ich hätte gerne einen zurückhaltenden, aggressiven Schuh, einen Schuh, der mir steht. Einen Schuh mit Größe, einen schnellen Schnuh, einen enormen Schuh. Einen künstlerischen Schuh, einen begabten Schuh, einen Schuh mit Vollmacht, mit Befugnis, einen Schuh mit Direktiven, Postulaten, Ambitionen, Kompetenzen. Einen entschlossenen Schuh, einen muskulösen Schuh, einen Schuh der Tat, der großen Worte, der Träume, einen für die Zukunft, einen stürmischen, akribischen Schuh. Einen moralischen Schuh. Einen umsichtigen, rücksichtslosen, peinlichen Schuh. Einen ungefährlichen, harmlosen, paradoxen: Schuh! Einen Schuh für mich und meinen Mann. Ein neuer Schuh für unser Dorf. Einen aktuellen, einen solchen, den man gerne anzieht, einen atmungsaktiven, chlorfrei gebleichten, cholesterinbewussten, schadstoffarmen Schuh. Ohne künstliche Zusätze, Aromastoffe, Emulgatoren, Katalysatoren, einen Schuh für Millionen, einen Schuh - Ihr Fernsehpfarrer, einen Schuh am Mittag, einen Wer-wird-Schuh? Einen Schuh - Ihr Sportmagazin im Ersten. Einen Freund und Helfer, einen treuen Gefährten, einen modischen, schicken, zeitgemäßen, beschissenen Schuh. Einen Schuh, der brennt, einen intelligenten Schuh, einen zudringlichen, handgreiflichen Schuh, einen einsturzgefährdeten Schuh, einen Schuh ohne Sollbruchstelle. Einen Schuh mit Korrosionsschutz, einen hitzebeständigen Schuh. Einen Schuh an Zentrale. Einen Schuh ohne Mundschutz, ohne Schulabschluss, ohne Vorurteile. Einen herzlichen, warmen, vertrauensvollen, himbeerfarbenen Schuh. Einen Schuh, der in roter Abendglut in der Dämmerung am Horizont im Ozean verschleißt, einen Schuh der gleißend im Zenit steht, von dem man Sonnenbrand bekommt, einen, der ins Tal schießt, das Geröll zersprengt, tosend und brausend. Einen Schuh, der scheu und aufgescheucht aus dem Unterholz aufschreckt."
"Haben wir nicht."

Rückblick auf die weltweiten Gurken-Exzesse der letzten Tage

Was mit Gurken eigentlich los ist: Wir wissen es jetzt. Die Menschen wissen es jetzt. Wir haben es in Erfahrung gebracht: Die Gurke ist besiegt. Am ersten November ging die Pressemitteilung raus. Als nächstes ist der Kohlkopf dran, nein, der war schon. Dann eben der Kürbis und dann der Bergahorn und dann die Spitzmaus. Die Gurke ist nackt, ihr Genom ist entschlüsselt, lasset uns beten: Das siebte sequenzierte Pflanzenerbgut, 100 japanische Wissenschaftler, 350 Millionen Basenpaare. Es ist vorüber. Muss das langweilig gewesen sein. Die Entschlüsselung, das Aufschreiben. Welches Gemüse ist als nächstes dran?

Basenpaare: Der Mensch hat drei Milliarden (das sind 750 Megabyte Information). Er hat es auch weiter gebracht. Entschieden weiter, denn: Wann wird es der ersten Gurke gelingen, das menschliche Erbgut zu entschlüsseln? Nie. Das ist gewiss, das liegt außerhalb der Möglichkeiten des jetzt in neuen Forschungsarbeiten völlig bloß gestellten Gemüses. Die Gurke ist doof, und jetzt ist sie nackt. Der kleinen Gurke ist kalt, und niemand hat sie gern. Im Ruhrgebiet sagt man: Alle Kartoffeln (=Deutsche) sind Opfer. Kartoffeln aufs Maul – Aber Gurke (=Gemüse) geht auch.

Der Kohlkopf ist auch schon entschlüsselt. Das Erbgut von etwa zwei Dutzend Säugetierarten kennt man schon HEUTE. Man kennt auch den Teichmolch ganz gut. Der kleine Teichmolch. Wisst ihr was den Teichmolch zum Versager macht, zur Hassfigur? Er hat mehr Basenpaare als der Mensch. Etwa zehn Mal so viel. Der Mensch hat weniger Adenosin,Thymin – den Rest hab‘ ich vergessen – und Nukleotide oder so, Mann, Verbindungen eben, Basenpaare halt, als das genannte Amphib. Will der uns eigentlich verarschen der kleine scheiß Teichmolch? Glaubt er etwa, er habe was drauf? Die dumme kleine scheiß Kreatur. Schleimige kleine scheiß Sau! Hahaha! Du tust mir so leid ey, du bist so schizo.

Na, wer will denn so despictirlich reden von de kleine grüne Kamerad? Eigentlich gilt: Je größer das Genom, desto komplexer das Lebewesen. Aber es gibt keinen Grund sich aufzuregen. Vor allen auch primitive Organismen, Amöben, Urfarne, solche Sachen haben eine Genomgröße von bis zu einer Billion Basenpaaren. Manche Sequenzen wiederholen sich hier jedoch so oft, manche sind an der Proteinsynthese in einem solchen Grade nicht beteiligt, dass man sie eigentlich nicht mitzählen sollte, wenn man einen fairen Wettkampf will. Unwichtig also hinsichtlich der Vormachtstellung des Menschen im Universum des Lebens.

Und auch die Gurke hat daran nichts geändert. Aber – eine Frage noch: Was hilft uns das jetzt? Können wir jetzt Gurken züchten, die wir per Fernbedienung zum Staubsaugen abkommandieren können? Oder werden uns in Zukunft Gurken unsere Getränke bringen? Oder gibt es bald Gurken in jeder beliebigen Form? Als Sitzkissen, Gurken mit einer lustspendenden Eichel vorne, Gurken als Zahnspangen? Gurken so klein wie Zäpfchen? So groß, dass wir endlich einen weiteren Erdtrabanten erschaffen können?

Ihr wisst genau wovon ich rede: Den Abend, als ich das mit der Gurke erfahren habe, werde ich so schnell nicht vergessen. Mit ein paar Freunden war ich mit Bier und Knabbereien vor dem Fernseher. Ganz zufällig. Normale Freizeit. Der Film war nicht schlecht spannend. Wir saßen alle mit offenen Mündern da und hätten wir nicht gebannt auf den TV-Apparat gestarrt, hätten wir sehen können, wie der Speichel auf unseren Zungen die Salzstangenstücke zersetzt. (Für den Speichel ist es sicherlich neu gewesen, an der freien Luft zu arbeiten).

Plötzlich wurde die Tür aufgestoßen. Meine Freundin kam herein und schrie, wobei sie die Arme hochriss: „Das Genom der Gurke ist entschlüsselt!“ Wow! Boah, wow!

Zeitlupe. Begeisterung ist die fünfte Dimension. Wir – Wir schleuderten aus den Sofasitzen. Wir rissen die Mäuler noch weiter auf, fielen uns in die Arme – wie geil ist das denn – und schrien vor Jubel. Nein, wir wüteten vor Jubel. Wir sprangen, schlugen, stießen – unglaublich: Masseneuphorie von zehntausenden Menschen konzentriert auf ein Wohnzimmer. Unsere Muskeln. Unser Zorn. Die Tränen flossen uns aus den Augen, wir jubelten, schrien – und wurden dabei unmerklich aggressiv. Der Ton des Schreiens heiserer und schmaler, wurde immer monotoner, verwandelte sich – unter unserem Entsetzen – und wurde zu einem Knistern, einem Kribbeln, Mikrowelle, Weißes Rauschen, Störgeräusch, Signal, es war als ob unsere Gehirne nur noch Bilddaten empfingen. Mehrere junge Menschen, im Jubel eingefroren. Das Rauschen wurde unerträglich und plötzlich war es ein Fiepen, ununterbrochen. Sinus Orkan Sinus. Dann setzte es aus und wieder ein, und aus und ein unerträglich lautes Besetztzeichen, wir waren starr vor Schreck und nur noch Masse. Was geschah? Dann entwickelte sich Melodie, wir, dann Rhythmus, wir, dann Freude, so klang das Paradies! Das Paradies. Heimat. Und jetzt wurde die Play-Taste der Zeit wieder gedrückt! Wir dancten zu unserer inneren Stimme. Wir dancten vor Glück. Dance! Grotesk.

Ich weiß nur noch: Später: Die Massen auf den Straßen. Die Krawalle, Exzesse, der öffentliche Sex. Aber ihr wisst es ja auch. Ihr habt ja das gleiche erlebt. Ihr habt euch, ich weiß es Freunde, ihr habt auch Gurkeneintopf gemacht. Ihr wollt es vergessen, aber ihr habt euch Gurkeneintopf gemacht. Gurken abgeleckt, zerschlagen, zu Brei, euch damit eingerieben. Darin gewälzt. War das eine Nacht. Unsere wilden Körper. Unsere Bodys. Unser Verstand.

Der nächste Morgen. Die nächsten Tage. Was ist passiert? Was bringt uns das verfluchte Genom der Gurke? Entschuldigt bitte, es handelt sich um das Genom der G-U-R-K-E. Wisst ihr, was ich meine? Was war denn mit uns los auf den Straßen, was haben wir angerichtet? Was hat uns so ekelhaft aufgegeilt und so in Freudewucherungen versetzt? Wieviele Menschen wurden aus Freude, das muss man sich mal vorstellen, aus Freude verletzt? Wieviele Unschuldige sind für den Rest ihres Lebens verstört? Sollten wir uns nicht schämen für die ganze Sauerei? Und keiner redet darüber! Seid ihr denn von allen guten Geistern...

Außerdem: Wir wissen ja gar nicht, wozu die einzelnen Teile der Kette gut sind, welches Protein wo synthetisiert wird, wir haben 350 Millionen Basenpaare, aufgelistet in mindestens monatelanger Arbeit. Und ihre Funktion ist uns unklar. Es hilft uns doch gar nichts! Wir kennen jetzt 350 Millionen Postleitzahlen aber nicht die entsprechenden Orte. Ist das die Orientierung, in deren Genuss uns die Wissenschaft bringt, weshalb sie unsere Religion ist? Für die Gläubigen: Lasset uns beten, dass es so geil weitergeht. We love that century.