Zeitschrift für Sprungkraft und Leuchtstoff

R7c1 – der einzige Coverkandidat

Es ist eigentlich unwichtig und es weiß jeder: Wenn man sich in der heutigen Zeit, auf den Weg macht, vielleicht im Internet oder in einem Buch, etwas zu erfahren, – man will sich zum Beispiel über Lösungsstrategien von Sudokus informieren – dann befindet man sich plötzlich, und sicherlich plötzlicher als man dachte, in einem sogenannten Fachgebiet. Man schüttelt den Kopf und stellt fest, dass die empirische Welt auch an dieser Stelle noch unglaublich viel größer wird. Dass Introspektion jetzt endgültig langweilig geworden ist. Die These ist, dass sich Wissen viral und aggressiv ausdehnt, und im verfügbaren kosmischen Gesamtraum G für das Gefühl immer weniger Spielplatz bleibt. Wie traurig. Die andere These ist, die Wissensmenge war bereits vor Jahrhunderten unüberschaubar. Nur weil uns jetzt mit der historisch nie da gewesenen Verfügbarkeit der Eindruck kommt, dass das Erfahrbare unendlich ist (obwohl es gar nicht unendlich sein dürfte, denn war das nicht eine Eigenschaft, die dem reinen über die Reflexion reflektierenden Geist vorbehalten war, beziehungsweise dem Hass?), heißt das nicht, dass wir nicht alleine dastünden mit diesem Eindruck.

Fachgebiete gab es und gibt es überall: Podologie, Patrologie, Pomologie, Prosopografie, und zu guter Letzt good old Pulmologie. Mich würde interessieren was der Siebzehnjährige zu dieser Kollektion sagt, der im Berufsvorbereitungsjahr steckt, und dessen Vater will, dass er sich auf die Stelle zum Rohrleitungsbauer bei der Gemeinde bewirbt. Egal zum Ersten. Solche Dinge, die gerne und fälschlicherweise mal als gesellschaftliche ‚Widersprüche’ bezeichnet werden sind ja gang und gäbe. Zum Beispiel: Wieviele abgemagerte Hirseenterhelferinnen mit Skorbut und Kolik’ im Benin denken gerade darüber nach, wie man am besten zu breakcore oder dubtechno tanzt? Egal zum Zweiten. Warum sollten das übrigens Widersprüche sein. Es sind maximal Gegensätze. Aber ich kenne mich nicht aus. Bleibe ich also dabei und sage Widersprüche.
Aber sind sie denn wirklich gesellschaftliche? Was passiert denn, wenn ich gerade vom junior consultant zum senior consultant befördert wurde und meine erste Woche im neuen Job mache, und mich, sagen wir, ins Zeug legen muss, während meiner Frau gerade der Darmkrebs diagnostiziert wird? Das heißt, ich habe noch weitere drei, vier Arbeitstage vor mir, bei denen ich mich mit allem Hirn um Zeug (beispielsweise die Verwendung von high capacity Kondensatoren bei der elektronischen Motorsteuerung, bei französischen Autobauern: Bis Samstag 22 Uhr Präsentation) kümmern muss, das mich einfach nicht interessiert, weil ich meine Frau liebe. Ist das nicht mal Entfremdung? Ein krasses Beispiel, aber weniger krass schlicht und einfach alltäglich. Eine die mit Gesellschaft nichts zu tun hat. Und die Entfremdung, über die Marx so gerne spricht. Wir seien von den Produkten und so weiter... darf ich den Gedanken einwerfen, dass Millionen von Menschen froh sind über diese Form der Entfremdung. Es ist ihnen recht, wenn der Kram nach acht Stunden aus ist, und damit nichts weiter zu schaffen ist an diesem Tag. Die wollen gar nichts mit ihrer Arbeit zu tun haben, sondern den Kopf frei haben. Auch wie dem sei. Sind die Widersprüche der Welt, liebe Leute von der Linkspartei (falls ihr denn so denkt, ich hatte einfach Lust euch anzureden) wirklich gesellschaftlich verankert? Oder besser: Sind die gesellschaftlich verankerten geradezu gleichgültig im Vergleich zu denen des Ereignisses? Aber egal zum Dritten und Letzten.
Ein kleines Zitat:

„Der X-Wing ist degeneriert und wird daher als Sashimi bezeichnet. Die Logik ist gleich wie bei einem normalen Finned X-Wing: r7c1 ist der einzige Coverkandidat, der beide Fins sieht, er kann daher gelöscht werden.“

Das kommt davon, wenn man Sudokus löst, aber bei einem gewissen Schwierigkeitsgrad nicht weiter kommt, und sich dann mal systematisch damit beschäftigen will und ins Internet hinein geht, um sich zu informieren. Geradezu irrelevant im Vergleich zu den Keplerschen oder Gossenschen Gesetzen, nicht wahr? Das geht einem ja überall so, egal ob man gerne Wein oder Whiskey trinkt und nachforscht, oder ein Golfschlägerset braucht und Kundenbewertungen durchforstet. Niemals war die Welt so konkret wie heute. Was würden Platon oder Schopenhauer sagen, für die es noch etwas Konkretes und für die alltägliche Lebenswelt Bedeutsames war zu sagen, Vorstellungen seien stets endlich oder auch nicht, wobei alles Reale endlich ist, also alles real ist, und keine Transzendenz da (Vorsicht bei der Abfahrt an den Türen: Willkürliches Beispiel). Oder der Mensch, der in zwei Wochen in Nigeria an einer Goldstaubvergiftung sterben wird? Was sagt der eigentlich so zu meiner neuen Katze?
"Die einen von uns werden eben als r7c1 geboren, und können gelöscht werden, die anderen gar nicht, und wieder andere fahren mit dem Maybach auf der Landstrasse nach Münster." Im Juli 2009 (wenn ich mich nicht irre) übrigens konnte man in den Nachrichten erfahren, dass es jetzt endlich eine Milliarde Hungernde gibt auf der Welt. Endlich. An diesem Abend habe ich beim Dönerladen um die Ecke mal ausnahmsweise mit Schafskäse gegessen (es war übrigens ein Linkshänder-Döner, ich komm’ damit besser zurecht).

Aha, aha. Was bedeutet das jetzt. Ist das jetzt alles Sozialdeterminismus? Sind die beiden folgenden Aussagen also gleichwertig:

1) Die eine stirbt mit 38 an Zungenkrebs, die andere mit 19 an Liebeskummer.

2) Der eine wird Rohrleitungsbauer, und wird sein Leben lang spucken auf das, was der Akademiker Arbeit (er weiß auch nicht, was der mit Entfremdung meint) nennt, der andere betreibt (minder-)qualitative Sozialforschung und verdient mit seinen unter Zwang geschriebenen Abhandlungen das Achtfache.

Sind das zwei verschiedene Formen, Kontexte von Schicksal und nichts weiter? Heißt das also, dass die Politik jetzt gar nicht mehr versuchen soll, Verhältnisse zu verbessern, für die Menschen, um des Menschen wegen auszubalancieren, sondern einfach alles so beibehalten sollte? Wo sie doch so mächtig, alles zu verändern, mit einer einzigen kleinen Handbewegung? Ist. Aber natürlich, Mama. Drauf’ gekackt, sach’ ich jetzt mal. Ich werde es nämlich auch an dieser Stelle pflichtunterbewusst versäumen, einen Zusammenhang herzustellen oder eine konsistente Aussage. Das ist auch gar nicht möglich, bei diesem Wust, in den wir hier hineingeraten sind. Ich halte es mit dem avantgardistischen Theater: Meine Bühnenstücke werden bei halbhoher Gardine vorgetragen, so dass man nur die Beine sieht, oder die Toten, die liegen. Manchmal ragt ein Lindenstock mit hauchzarten Trieben aus dem Orchestergraben und duftet nach dem Süden.

Ich muss doch im Abschluss nochmals unterstreichen, dass die in diesem Text unternommene Parallelisierung von ‚sozialem’ und ‚weltischem’ Schicksal strenggenommen natürlich ein recht großer Kram ist. Aber vielleicht ist das Ziel meiner hier durchgeführten Verwirrung etwas sichtbar. Oder vielleicht riecht auch jemand was? Übrigens hoffe ich nicht verschreckt zu haben, wie es Leute tun, die sagen: „Es sterben hier Menschen an Hodenkrebs und du frisst Crêpe Suzette!“ und glauben damit die Härte der Wirklichkeit begriffen zu haben (wenn es eine solche Härte denn gibt, jedenfalls kann man der W. nicht einmal mit einem Diamanten einen Kratzer zufügen, so dass Mohs-Härte 10 überschritten ist), und also auch eine Rechtfertigung aufweisen, täglich drei Bier zu trinken (und einen Wodka).

Unauthentisches Composing...

ist gar kein Composing, sondern Posing?
Person A sitzt mit geschlossenen Augen auf einem Bürostuhl vor ihrem Rechner. Person A hört Musik. Sie zuckt, sehr schnell, aber rhythmisch. Der Betrachter mag wohl nicht auf Anhieb feststellen, dass hier eine Ordnung vorliegt, denn es ist etwas Komplexes und Akzentuiertes, was sich Person A verabreicht. Fernerhin improvisiert sie darüber: Und so ergibt sich von außen betrachtet das Bild eines ausgewachsenen Tremors. Was auch immer es ist, was da gehört wird: Es sich nicht das Frühstücksradio von Hitradio FFH, das ist klar. Das Mikrofon krabbelt am Hinterkopf entlang, denn der Kopfhörer sitzt verkehrt herum auf ihrem Haupt. Sie hört nämlich mit einem Headset Musik.

Sie hat es mit ihrer Paranoia vor der Gesellschaft so weit gebracht, sich zu schämen vor anderen Leuten mit solchen Dingen. Bei so eher ausgelassenen Sachen und so. Person A zuckt mit den Augenlidern – sie ist nämlich Teil des erlesenen Kreises von Personen, die auch mit diesem kleinen Körperteil tanzen können. Jetzt, wo sie sich auf ihrem Bürostuhl befindet, sind die Augenlider dann und wann ganz still – die Bewegung setzt in den Momenten aus, in denen sie glaubt nicht authentisch zu sein. Wenig später lässt sich Person A von einem solchen Einwand nicht mehr darin stören, auch gesamtkörperlich etwas inniger zu den Ausdrucksmitteln zu greifen, denn sie glaubt seit Jahren nicht mehr an Authentizität. Sie hatte nur ihren fehlenden Glauben diesbezüglich kurz vergessen.

Das Konzept Authentizität ist auch nicht angemessener und besser zu rechtfertigen als Ausländerhass. Man sollte sich davon im Handumdrehen etabliert haben. Übrigens: Niemand weiß eigentlich wie man eine Hand umdreht. Aber in einem Punkt herrscht dessen ungeachtet Konsens: Es geht ziemlich leicht. Und da Person A das Gefühl hat, nochmals ganz spontan einen semiprofessionellen Grund gegen die Plausibilität des Begriffs Authentizität entwickeln zu müssen, sagt sie sich: In dem Augenblick, in dem ich mir sage, sei einfach du selbst, bin ich nicht einfach ich selbst. Für beides auf einmal ist nicht Zeit. Person A hat keine große Lust das irgendwie theoretisch auszudehnen. Sie denkt sich aber noch kurz, authentisch soll man ja sein, wenn man man selbst ist. Und das geht doch davon aus, dass es einen Unterschied zwischen ich und ich selbst gibt. Jetzt übertreibt Person A: Richtig, das macht keinen Sinn und ist – wie etwa Religion oder der Anspruch ‚sozial’ zu sein – faustdick sonnenklar etwas, was die Mächtigen unseres Landes uns in den Kopf gesetzt haben, um uns zu regieren, damit wir gar nicht mehr in Zweifel ziehen, dass man sich selbst finden muss, dass man irgendwann aber bitte schon einmal wissen sollte, wer man ist und was man denn möchte in seinem Leben.

In solchen Momenten hat Person auch beim Tanzsport gelegentlich die Augen offen und blickt kurz auf den Bildschirm. Sollte man ein minder auffälliges Lied wählen, um …, na eben einfach so? Immerhin könnte vielleicht Person B oder Person C das Zimmer betreten. Man kennt sich schließlich auch noch nicht allzu lange, das heißt die Beziehungen hatten noch nicht die große Zeit sich zu festigen. Person A hält sich nicht für extravagant, sie will aber auch nicht verstören.
Sei es wie es ist: Sie geht wieder mit der Musik. Nach den kurzen Irritationen kann Person A wieder genießen. Was auch immer das heißen soll, wie sie sich fragt. Genuss scheint jedenfalls nichts mit der Lage der arbeitenden Klasse in England zu tun zu haben oder mit der kritischen Kritik der Kritik. Vielleicht ist Genuss ja auch nur ein anderes Wort für enormous chill. Vielleicht ist es ein Zeichen, dass die arbeitende Klasse hier ins Wort fällt: Die Authentizitätsdebatte hat Person A schon länger satt, sie hält sie für unproduktiv und eigentlich abgehakt. Kurz denkt Person A noch weiter. Es gibt doch den weit verbreiteten, aber unausgesprochenen Gedanken, dass man authentisches Verhalten, und insbesondere beim Tanzen (und um den Bezug zur Überschrift herzustellen: bei Blogeinträgen übrigens auch), daran erkennt, dass es technisch gut ist, etwa sehr gut auf den Takt und anderweitige musikalische Einheiten abgestimmt, oder sonst erstaunlich gut gemacht ist. In diesem Sinne ist Komplexität authentisch. Oder mal minus eins: Es gibt den Gedanken, gerade bei der Beobachtung eines tanzenden Menschen, dass genau dann wenn die Darbietung brüllend schlecht ist, Authentizität herrscht. Unverfälscht. Echt. Virtuosität ist immer technisch, immer künstlich. Vielleicht, und das ist das letzte was sie denkt, bevor sie unterbrochen wird, ist es genau das, dass man weder dem einen noch dem anderen Echtheit bescheinigen kann, keine der beiden Positionen toll ist, was zur Widerlegung des ganzen Konzeptes führt. Und das denkt Person eigentlich schon lange: Man ist immer man selbst, immer. Auch beim schrecklichsten Posing, Lügen oder Schleimen. Man kann sich nicht verstellen. Oder jemandem was vorgaukeln. Die ganze herkömmliche Auffassung zur Schauspielerei ist in diesem Sinne schwach. Person A denkt sich, der folgende Satz macht doch gar keinen Sinn: „Mach was du wirklich willst.“

Und wenn man schon vom Teufel spricht: Person B kommt ins Zimmer. Sie starrt Person A so lange an, bis Person A den Kopfhörer absetzt. Jetzt hat Person B endlich Zeit den Kopf zu schütteln und sich wieder umzudrehen. Solange du nicht reagierst, gefalle ich mir darin, dich strafend anzublicken. Will Person B etwa schon bereits wieder erneut sofort gehen? Dieser kurze demonstrativ mahnende ‚Befehlsstand’ reicht ihr etwa bereits wieder sofort aus? Person A muss an die Niederschlagung des Aufstandes auf dem Tian’anmen-Platz denken. Person B wendet sich doch noch um und spricht. „Hör mal zu, ja? Wir sind in dieser Wohngemeinschaft anständige Leute, ja? Sich so gehen lassen. Wenn du dich wenigstens bewegen könntest. Widerst mich an du. Was machen die Leute eigentlich. Also Leute, so was wie du halt. Sie brauchen immer stärkere Drogen, immer abgefahrenere Musik. Wenn ich dich nochmals erwische, dann mach ich dir dein kleines Schweineleben zur Hölle. Dann überfahre ich dich jeden Tag mit meinem Auto.“

Notabene: Es handelt sich um eine 8-er Wohnung. Landkommune, Altersheim, Bundeswehrbarracke. Ist egal. Der Vollständigkeit willen hätte man also erwähnen müssen, dass nicht nur Person B oder Person C ins Zimmer hätten kommen können, sondern auch Person D, Person E, Person F, Person G, Person H. Aus Rücksicht auf das Textbild wurde dies unterlassen sowie es aus Wahrheitspflicht als eben diese Bemerkung noch ergänzt wurde. Danke.

Komma Komma

Was wissen die Menschen komma die im Obergeschoss so laut lachen komma davon dass das ganze Leben eine einzige Musik ist. Drum'n'Bass mag auch mal 170 Schläge in der Minute haben. Eine schnelle Musik. Der Tango ist halb so schnell. Der Wiener Walzer ist nochmals halb so schnell. Diese Zahlen habe ich jetzt nicht recherchiert. Sie sind deshalb so toll komma weil sie so symbolisch sind.
Also komma was wissen die Leute davon komma die da oben so laut lachen komma dass sie da was ganz Falsches machen (oder will man leugnen komma dass das Zwerchfell nicht der Baum der Erkenntnis ist?) komma denn ein Mensch lebt so kurz komma so sehr kurz komma dass er auch wenn er ganz genau hin hört komma ganz genau komma vielleicht einen einzigen Taktschlag hören wird komma von dieser Musik komma von diesem Leben komma einen einzigen Schlag in seinem ganzen Leben. Und dass es auch gar nicht ausreicht komma dass Gehör martialisch-penibel zu schulen komma man muss auch den nervus acusticus schulen komma sowieso das ganze Gespür komma das komplette Nervensystem komma komma komma es bedarf des Menschen komma diesen einen Taktschlag zu hören. Und er braucht auch noch Glück komma der Mensch - das man in diesem Fall dann Schicksal nennt komma wenn es zu so einer unterwahrscheinlichen Koinzidenz kommen soll.

Aber nein komma da sitzen sie in der Runde und finden es lustig und lachen würgereflexartig explosiv und dann reden sie die ganze Zeit. Wer redet komma der kann nicht hören. Was? Um diesen Ansatz nochmals auf einen schlagkräftigen Kurzsatz zu bringen: Wer in einer Runde sitzt komma wird niemals etwas auf die Reihe kriegen. Es bedarf eben des Menschen. Jawohl.

Wenn ihr das auch total interessant fandet, das "," immer komma auszuschreiben, dann geht jetzt bitte sofort zu eurem Telefon und wählt die 1. Wenn ihr das auch total blöde fandet, das "," immer komma zu schreiben, dann lasst euch gerne noch ein wenig Zeit, aber dann geht sofort zu eurem Telefon, und wählt die 0!

Begründung meines Willens zum Wiedereintritt in die katholische Kirche

Natürlich kann man aus der Kirche austreten. Das steht jedem frei, bringt einige Vorteile, allerdings auch Nachteile. Einer davon ist, dass man beispielsweise einen Partner kennen lernen kann, der sehr viel Wert auf eine kirchliche Trauung legt. Auch wenn man Taufpate sein möchte, geht das unter Katholiken nur, wenn man selbst getauft ist.
Ich dachte vor einigen Jahren fatalerweise aus der Kirche austreten zu müssen. Ich hatte damals nämlich ein Jahresgehalt von 80 T€ netto, und da stieß es mir unangenehm auf, hundert Euro Kirchensteuer im Monat zu zahlen, über dessen Verwendung mich der Pfarrer des hiesigen Dorfes auch innerhalb eines fünfstündigen Streitgesprächs nicht plausibel unterrichten konnte. Leider mündete das Gespräch damals in gröbsten Handgreiflichkeiten, so dass ich berufsunfähig wurde. Glücklicherweise hatte ich mich zuvor gegen solch ein Ereignis versichert. Jedenfalls lernte ich bei der Reha meine Therapeutin Dagmar kennen, um deren Hand ich letztes Jahr anhalten wollte. Leider war Dagmar total katholisch! Sie wollte also unbedingt eine kirchliche Trauung.
Wer in die katholische Kirche wiedereintreten möchte, hat allerdings einige Schwierigkeiten zu bewältigen. Unter anderem muss man den Wunsch sehr ausführlich und schriftlich begründen. So musste ich damals also einen Text verfassen und an den örtlichen Pfarrer richten.
Glücklicherweise saß der Pfarrer von damals wegen Veruntreuung von Steuergeldern im Kitchen. Nein, nein, es ging nicht um die Kirchensteuer, auf die hatte er gar keinen direkten Zugriff. Er handelte damals mit Männern, und rechnete nicht korrekt mit dem Fiskus ab. Er dachte auf Männer werden 4% Mehrwertsteuer erhoben, dabei sind es doch nur noch 3%. Ich weiß das, weil ich mir damals mein Studium mit dem Handel von Männern finanziert habe.
Wie dem auch sei, bei dem neuen Pfarrer hatte ich gute Chancen. Der ist sowieso sehr nett. Folgender Text wurde von ihm akzeptiert. Naja, ich habe ihm natürlich auch ein Fass Rotwein aus der Rioja in den Hof gestellt. Egal. Die Liebe zu Dagmar ist jetzt amtlich. Und weil ich mich mit vielen Menschen unterhalten habe, die auch zurück zur Kirche wollten, weiß ich dass viele an diesem Schreiben scheitern. Aus geheuchelter Liebe zu meinen Mitmenschen veröffentliche ich mein Schreiben, quasi als Muster, hier im Internet. Zum Verständnis sage ich, dass ein Kunstgriff darin besteht, meine Taufe schon vorauszugreifen, also so zu tun, als wäre das Schreiben schon akzeptiert worden.

Ich lese gerne. Vor hundertfünfzig Tagen zum Beispiel habe ich in einem Buch (und nicht etwa vom Feld) gelesen, dass monokausales Denken - wenigstens statistisch - das Überleben in der Altsteinzeit wahrscheinlicher machte. Ich kann mir zwar nicht besonders konkret vorstellen, welche Methoden im Einzelnen zu diesem Ergebnis (Behauptung) geführt haben. Aber wenn es denn stimmt, dann komme ich als Selbstreflexionskrüppel der Familie (den Spitznamen habe ich von meinem Bruder) zu dem Befund, dass ich in der weiteren Evolution keine Chancen haben werde. Unter der Voraussetzung, dass sich die Situation seit der Altsteinzeit nicht verändert hat. Und hier kann ich mir noch viel weniger konkret vorstellen, wie man das ausdrucksvoll nachweisen kann. Es geht nicht. Wir leben strukturell immer noch in der Altsteinzeit. Dachte ich bisher, aber dazu unten mehr.
Außerdem. Ich bin auch nur ein Mensch. Das heißt, ich verdränge unangenehme Wahrheiten, und zwar aus dem tieferliegenden Grund, dass ich mich selbst ziemlich geil finde (Psychologie). Deshalb habe ich mich also taufen lassen. Denn Christentum und Evolutionstheorie geht zusammen nicht klar.

Aber zunächst ein kleiner Nachtrag zu den obigen prähistorisch gesonnen Ausführungen: Die Clovis-Kultur des nordamerikanischen Kontinents, die älteste dort angenommene menschliche Besiedlung, wird in ihrem Alter auf etwa 11.000 Jahre datiert. Es tauchen, wie immer in der Archäologie und Paläoanthropologie - und diese Behauptung werden alle Ahnungslosen mit mir teilen - immer mal wieder angeblich stichhaltige Ergebnisse irgendwelcher (amerikanischer) Wissenschaftler auf, die belegen, dass der Mais im Osten der heutigen USA noch früher als bisher angenommen domestiziert wurde, dass die Aubergine im Gebiet des fruchtbaren Halbmondes noch früher als der Emmerweizen kultiviert wurde und dass es den Hund schon im Ordovizium gab (also lange vor dem Menschen, so dass man sagen kann, dass der Hund den Menschen wohl als Haustier gehalten hat in der coolen Prähistorie und sich der Mensch aber dann doch behaupten konnte, jedenfalls bei oberflächlicher Betrachtung der heutigen Verhältnisse), das heißt, irgendetwas ist erwiesener Maßen immer noch älter. Wenn man diesen profilierungsgeilen Wissenschaftlern glaubt.
Jetzt hat man also vor einigen Jahren versteinerte Scheiße gefunden, die uns sagt, dass es vor der Clovis-Kultur Siedlungen gab in Nordamerika. Versteinerte Scheiße. Erstaunlich. Denn es handelt sich hierbei ja, und dass ist viel wichtiger als die komische Eventualität einer Präclovis-Kultur, um den ersten Nachweis menschlicher Kultur, der mir zu Ohren gekommen ist überhaupt. Es gibt also tatsächlich so etwas wie Kulturgut. Das hätte ich mir, als studierter Geologie (diese Disziplin handelt von verschissenen Steinen) und dementsprechend überzeugter Naturalist nicht träumen lassen. Nun mag man einwenden dass Opern von Verdi oder die überlieferten politischen Ansichten eines Catull oder Octavian Kulturgut seien. Aber im Unterschied zu Musik ist Scheiße messbar. Außerdem, und hier schließt sich für mich der Kreis, befinden wir uns damit, seit diesem ersten nachgewiesen Kack, per definitionem nicht mehr in der Altsteinzeit. Denn Kultur ist mal voll nicht monokausal.

Ja - und damit greifen wir den zweiten begonnen Kreis auf -, ich finde mich geil. Das liegt zwar hauptsächlich daran, dass ich ein Mensch bin, und deshalb dumm, wobei sich das Dumme immer geil findet, beziehungsweise, dass Geile das Dumme ursächlich und als Telos erst begründet, es liegt aber auch daran, dass ich dumm bin. Womit also gesagt ist, dass es eventuell Dummheit außerhalb des Menschen gibt. In diesem Sinne ist es erst verständlich, warum es ordentlich ist, jemand unmenschlich zu nennen, und zwar einfach deshalb, um darauf zu verweisen, dass sich dieser Mensch, auch noch die unmenschlichen Quellen der Dummheit zu eigen machen konnte.
Es wäre monokausal gedacht, zu sagen, der Mensch sei nur deshalb dumm, weil er ein Mensch ist. In der Altsteinzeit mag das ausgereicht haben. Spätestens seit der Geburt des heiligen Heilands ist aber klar, dass dies nicht mehr hinlänglich ist, die menschliche Dummheit zu begründen. Seit den zärtlichen Ereignissen im Zusammenhang mit Jesus wissen wir, dass das Unmenschliche schlechthin das Göttliche ist, zumindest teilweise, und dass der Mensch zusätzliche Dummheit nicht aus dem Nichts heraus schöpfen kann, sondern direkt aus der göttlichen Sphäre, unter anderem.
Weshalb habe ich mich also taufen lassen? Weil es nicht reicht, das Jagen und Sammeln eingestellt zu haben, um zu beweisen, dass die Altsteinzeit vorbei ist, also dass man jetzt nicht mehr nur noch aus einem einzigen Grund dumm ist, dass man jetzt nicht nur von den Feldern liest, sondern auch aus Büchern. Hauptsächlich aber weil ich auch was abbekommen will von der Evolution. Das Christentum glaubt nämlich, die Evolution gehöre ihm ganz allein, und ich weiß ja auch nicht von wem die versteinerte Scheiße genau kommt. Also die mögen sich halt nicht.
Ich will doch auch nur was von der Evolution. Ich liebe dich, Dagmar!

Bemerkung: Das mit dem versteinerten Kot ist nicht erfunden. Ja, das erste Zeugnis des Amerikaners... In der onlinischen Süddeutschen ist das nachzulesen. Und versteinerter Kot war ja bei ebay sogar schon käuflich. Wann zieht der Einzelhandel nach? Wann, oh wann begreift er endlich?