Zeitschrift für Sprungkraft und Leuchtstoff

Einklang!

Es ist die Natur. Die Natur ist ein Teil des menschlichen Körpers. Und der menschliche Körper ist Teil der Sonne. Die Sonne ist schön. Wir leben! Das Atmen des Tieres ist die Umlaufbahn des Mondes. Der Mond küsst die Sonne, die Sonne schenkt uns Liebe. Wir atmen Liebe. Wir sind ein Organismus. Das Leben ist schön, es ist Natur, unser Geist ist wie ein Sonnenstrahl. Lebendig sein heißt glücklich sein, heißt frei sein. Frieden für alle Lebewesen! Wir profitieren vom Glück der anderen, und die anderen profitieren von unserem Glück. Wir bejahen die Gemeinschaft aller Lebewesen. Die Gestirne senden uns ein Lächeln. Wir leben im Einklang mit dem Einklang. Wir singen den Einklang. Die Natur ist der ewige Kreis. Wir sind ewig, wir leben! Wir bejahen die Natur. Frieden! Segen! Für alle Seelen. Die Natur ist in der Ewigkeit. Die Ewigkeit verbindet uns. Gemeinschaft für den Frieden! Einklang!
"Die Wiese hinter dem Haus bringt Glück." Foto, was denn sonst.

Dilemma

Heute widmen wir uns einem ganz und gar unfassbaren Satz aus einem großen literarischen Werk. Er hat mir so den Kopf verdreht, dass ich auch das Buch beim Weiterlesen mit dem Buchrücken zum Oberkörper halten musste. Das heißt, ich habe es gar nicht mehr gehalten sondern auf den Tisch gelegt, und bin beim Weiterlesen einfach aus dem Raum gegangen. So dass es das Buch nicht bemerkt hat und "lalala mir gehts gut, ich werde gelesen"... Bücher sind so leicht hinters Licht zu führen. Achtung. Es handelt sich um Weltliteratur! Nun, aber was ist Weltliteratur? Nochmals nun, ich denke das ergibt sich zur Gänze aus dem Zitat. "Die Haferschleimsuppe kam und sorgte wieder für eine Menge Redestoff - für viel Lob und viele Bemerkungen und die entschiedene Behauptung ihrer unzweifelhaften Bekömmlichkeit für jede Konstitution sowie für eine ziemlich harte Strafpredigt an die vielen Haushalte, in denen niemals eine anständige Haferschleimsuppe zu bekommen sei; aber leider befand sich - ein erst vor kurzem geschehener und daher besonders markanter Fall - unter den Versagern den die Tochter anführen mußte, ihre eigene Köchin in South End - eine junge Frau, die für die Zeit dort angestellt worden war und die nie hatte begreifen können, was unter einer Schüssel schöner, weicher, dünner, aber nicht zu dünner Haferschleimsuppe zu verstehen ist." Wow? Damit unterscheidet sich idealer Schleim nur unwesentlich von unserem Universum in seiner Anfangsphase: klein, heiß und dicht. Aber jetzt mal in klaren Worten. Wir essen ja sowieso alles furchtbar gern, was weich und dünn ist, oder, mal ehrlich? Und wenn es dann auch noch schön ist? Ja wirklich, unschätzbar köstlich, schöner und dünner Schleim, und so weich. Wie kann man das denn nicht begreifen. Sollte man vielleicht ein Lehrbuch dafür herausgeben? Oder gleich zuschlagen, wenn irgendeine vollkommen dämliche Person das nicht verstehen kann. Übrigens, ja fast, aber was man in der Toilettenschüssel von Zeit zu Zeit antrifft ist nicht schön. Obwohl, wenn man es relativ betrachtet. Aber jetzt noch ernsthafter. Sie haben die Rhythmik im Zitat bemerkt? Wirklich? Da haben Sie sich etwas vorgemacht. Es gibt keine. Es ist ohnehin eine Übersetzung, aber - na gut - ich denke, über das Vorhandensein einer ganz königlichen 'semantischen Rhythmik' kann man mit sich reden lassen. Die einzelnen inhaltlichen Bedeutungsbereiche, samt ihrer Quantisierung und ihren Proportionen untereinander - klaro, kenn ich, is' doch Weltliteratur, komm ma rübber Rainer (hat schon wieder sein Zimmer nicht aufgeräumt) , Udda hat Weltliteratur für de Boppes. Und zack. Immer schön ausholen mit dem dicken Buch. Ist ja Weltliteratur. Bis der Hintern so rot ist wie ein Drittel der Flagge. Kann es übrigens sein, dass man die Farbe der Deutschlandfahne überhaupt erst so ermittelt hat? Spass, ich bin total patriotisch. Gehört jetzt aber nicht hier rein. Aus dem Hintergrund: Mama, du sollst doch nich' so viel lesen. Und aua! Nein, das kann man schon attestieren. Wie die einzelnen Bedeutungsebenen ein lebendes Ganzes, ein atmendes Sein ergeben, in ihrer Symorphie und rekursiven Bivitalität, zeugt von Könnerschaft und Poetentum. Und das Niveau wird auch über das ganze Buch hinweg gehalten. Über das Buch hinweg? Was meinst du? Ach, über dem Buch? Das Niveau liegt über dem Buch, es wird darüber gehalten. Das Buch liegt also unter allem Niveau? Rainer! Nicht denken, aushalten! Zurück zur semantischen Rhythmik. Zum Zitat: "... ein vor kurzem geschehener, und deshalb besonders markanter Fall." Das erzeugt ja bereits eine gewisse Logik, alles weitere im Buch wird kohärent und inkohärent sein dazu. Letzteres ist der Fall. Es werden viele derartige Sachen gesagt, die gar keine reale Entsprechung haben oder nur sehr eingeschränkt gelten. Was da für komische Dinge stehen in dem Buch, zum Beispiel, etwas eindrücklicher als eben: "Die menschliche Natur ist allen, die sich in einer außergewöhnlichen Lage befinden, so wohlgesinnt, daß über einen jungen Menschen, mag er heiraten oder sterben, mit Sicherheit nur Gutes gesprochen wird." Was? Das ist einfach nur bizarr und mehr auch nicht. Oder besser, sinnlos. Aber bevor wir es vergessen. Wo kommt denn dieses ganz feine Zitat denn eigentlich her? Antwort: Es handelt sich um die Belohnung für die Lektüre von 116 vorangegangenen Seiten von "Jane Austens literarisch bedeutendste[m] Roman" (Klappentext): Emma. Ein krasses Buch. Und selbstverständlich Gegenstand literaturwissenschaftlicher Seminare. Ja, das Buch ist schlimm. Wen wundert es, wenn Haferschleim für jede Menge Redestoff sorgt. Das muss man sich mal vorstellen. "Jede Menge Lob" also... Die ganze Kommunikation zwischen den Leuten in der Handlung besteht aus leerem, adeligem Blabla. Und das innerhalb eines Wertesystems, das eigentlich in seiner positiven Ausrichtung vollständig genannt ist, wenn Emma, "schön, klug und reich" ist. Bei dieser ganzen Heiratskuppelei, meine Güte, wie oft da jemand vornehm ist und vermögend, und von Scharfsinn, und Manieren glücklich bekränzt (besser: begrunzt). Unerträglich. Das ganze Vakuum der, der ganze Autismus der Aristokratie. Damit hätten wir, wenn wir mal flink verallgemeinern, das zweite Kriterium von Weltliteratur: Flach. Das erste war übrigens unsinnig. Man kann sich als Außenstehender überhaupt nicht vorstellen, wie man in diesem Buch sprachlich und inhaltlich (eigentlich passiert aber dann doch nichts) eingesülzt wird, eingerieben mit warmen Eischaum. Schön, weich und dünn... Es ist sehr gut möglich, dass ich bei der Lektüre öfters epileptische Anfälle hatte, einen besonders heftigen womöglich als ich die obige Stelle gelesen habe, aber es war ja niemand dabei, und ich, wenn es denn so ist, erinnere mich eh nicht mehr daran. Ja, aber jetzt ist auch schon genug. Wir wollen uns nicht langweilen. Vielleicht übersetze ich das Buch in meinen Alterstagen in Ook!. Das wäre sprachlich die passende Form. In Ook! kann ich ja nicht direkt übersetzen, aber ein Programm schreiben, dass das ganze dann auf den Bildschirm wirft. Sie kennen Ook! nicht? Das ist eine Programmiersprache für Orang-Utans und isomorph zu Brainfuck. Sollten Sie sich mal mit beschäftigen. Es gibt jede Menge esoterische Programmiersprachen. Zum Beispiel auch cow. Ich bekomm's nicht aus dem Kopf: "Ziemlich harte Strafpredigt an Haushalte"... Wahnsinn. Wenn ich mal Lehrer sein sollte, stelle ich das mal in einer Schulaufgabe. Formulieren Sie über vier Seiten eine derartige Strafpredigt, am Rand steht dann: Erreichbar: 0 Punkte. Vier Seiten und trotzdem 'ne Sechs. Finde ich auch richtig so, denn man lernt für das Leben und nicht für die Schule. Ehrlicherweise muss ich dazu sagen, dass ich das Buch genau wegen solcher Zitate ziemlich gut und abartig fand. Es ist eigentlich schon ein lohnenswerter Trip, wenn er halt nicht so lange wäre. Das Warten durch die Langeweile hatte sich dann doch wieder gelohnt beim Lesen, wenn plötzlich so ein Hammer kam.

Winter im Menschenbauch

Ich sitze mit halb geöffneten Lippen im Zimmer meines Bruders, an denen die abblätternden Hautreste hängen, auf dem klappernden Bürostuhl – vor zwanzig Jahren, von jemandem montiert, der genau so gut ich gewesen sein könnte, theoretisch meine ich, vielleicht nicht so gut im Kopfrechnen wie ich. Meine Augenlider blinzeln scheu zurück, wenn sie sich dann doch geschlossen haben unabsichtlich. Wenn ich nichts sehe, hat mein Gehirn mehr Spaß mit sich selbst. Manchmal benetzt die Zunge, auf der der Biergeschmack ruht, die Lippen mit Speichel. Ich habe Adrenalinstromschläge. Ich fühle mich frei. Ich nicke mit dem Kopf und die Gegenbewegungen kommen von den unter der Sitzfläche ein- und ausknickenden Kniee. Ich fühle mich als würde ich ein Cabrio durch Serpentinen steuern. Die Anzeige in miles per hour. Als würde ich vom Golfspielen kommen. Neben mir auf der Ledersitz eine hochgewachsene Blondine mit riesigen Brüsten. Dann aber juckt es mich in den Achseln, wo meine Achselhaare verklebt sind. Ich verdränge es wie meine Zahnlücke gerade aussieht, wenn ich den Froschmund mache. Ich habe das Gefühl ich bin im Fitnessstudio, würde gerade vom Gerät aufgestanden sein, achtzig Kilo mindestens oder auf jeden Fall eine ganze Menge Gewicht und ich spüre selbstbewusst wie die begehrenden Blicke der Frauen auf meinem schweißperlenglänzenden Körper ruhen. Ich schwinge das Handtuch um den Nacken und werde mir jetzt einen Eiweißdrink gönnen. Vielleicht sehen wir uns ja nachher in der Sauna.

Nein, sicherlich nicht, denn ich sitze immer noch auf dem Bürostuhl. Und unter meinen rhythmischen Bewegungen klappert das alte Gestühl. Ich höre Musik und gebe meinem intensivem Empfinden mit gefühlsstarken Tanzbewegungen Ausdruck. Ich lecke mir über die Lippen. Ich fühle mich als würde ich vor den Cops flüchten, in meinem Rucksack klappern blechern die Spraydosen, wieder mal eiskalt 'Nazis raus' auf einen Zug gesprüht, wieder mal paar bombings angebracht, ich bin nur halb so schlecht wie die Welt, über mir strahlt der Mond und auch über der kalten Stadt, und ich bleibe mit meinem Rucksack in einem Zaun hängen, mindestens drei Meter hoch, dann lasse ich das Teil zurück, ich schwinge mich ganz knapp nur drüber, machs gut Ärmel meiner Lieblingsjacke, Märtyrerärmel du, abgerissen, als Fahne der Freiheit am Maschendraht. Ich kann auch ohne dich Spinnennetze verschießen. Der Rucksack ist auch weg, dann kaufe ich mir halt neue Büchsen, neue caps, ich bin jedenfalls erfolgreich geflohen. Mein Lachen schallt durch die Nacht. Die Bullen blicken beömmelt drein. Ich schreie ihnen hinter her: Ihr Schweine, ich bleib mir immer treu! Für ewig! Hmm, auf ewig, flüstere ich, oder doch für ewig? Ich öffne die Augen. Diese Musik, dieses Feeling. Jugendlichkeit. Das Album von Avril Lavigne ist eigentlich nicht für mich bestimmt, denke ich. Ich sollte mich was schämen. Wenn sie mich sehen würde, sie würde mich belächeln. Ich schäme mich vor ihr.

Ich spaste ab. Aber muss der Stuhl so laut sein. Ich bin wieder drin. Ich fuchtele mit den Armen in der Luft. Lasst mich durch. Musik kann mich richtig befreien, habe ich mal einer in einer Disco erzählt, bevor ich ihr auf das T-Shirt kotzte. Wieder abspasten. Ihr sollt mich durchlassen, ich mache das schon. Ich versuche mich durch eine Menschenmasse von Schaulustigen zu drängen, ich sehe die Flammen aus dem Haus züngeln, das Blaulicht wirft Schatten an die Häuserwand. Als ich da bin, höre ich mich nach Hilfe rufen. Ich sehe mich am Fenster. Ich klettere die Feuerwehrleiter hinauf, werde mich retten. Aber genau als ich mich erfassen will, zerplatze ich, die Puppe im brennenden Fenster, wie eine Seifenblase. Die Menschenmenge verlacht mich. Das Blaulicht wird plötzlich bunt und die Flammen des brennenden Hauses verwandeln sich in Lametta. Ich wollte mich doch nur retten. So ein Labyrinth das alles. Verdammtes Labyrinth. Ich habe nicht nur Alpträume. Auch Alpfantasien. Der Stuhl ist zu laut. Ich drehe die Musik leiser, dann wieder lauter, wieder leiser. Meine Mutter schläft eine Etage weiter unten. Und wir bewohnen doch ein Holzhaus. Die Schönheit ihrer Stimme rauscht durch mich durch. Nein, nicht meiner Mutter. Die schläft doch schon. Der Dreck unter meinen Fußnägeln bedeckt den Saturn. Ich bin ein Idiot und ich hasse mich. Bald bin ich dreißig. Und meine Bierflasche, die vor mir steht, ist fast leer. Sie ist fast leer! Fast leer, sie ist fast leer. Was soll ich in den Jahren bis zu meinem Geburtstag nur trinken. Ich muss doch auf mich und meine beschissene Welt anstoßen können, wenn der Wecker um punkt Zwölf klingelt. Weißt du Junge, du trinkst doch total gerne Bier, flüstere ich mir jetzt zu, und streichele meinen Bizeps, verarsche mich selbst. Ich mache mich gerne über mich lustig. Na das gefällt dir mein Junge, und stell dir erst mal vor, du wärst jetzt im Fitnessstudio. Du wärst der Unglücklichste von allen.

Ich will ersticken. Oder Nasenbluten haben. Letzte Woche habe ich etwas gemacht... ich glaube, es war ein Anzeichen dafür, dass es mir mittlerweile wirklich schlecht geht. Ich habe mein ganzes Zimmer tapeziert mit Zetteln, auf die ich so schnell wie möglich gekritzelt hatte: wsgk3#asjj12. Nein das nicht, aber ich musste kurz zucken, pardon tanzen. Ich will Nasenbluten haben. Das habe ich tapeziert. An jede Wand. Mein Vater kam am nächsten Tag ins Zimmer, was schon zehn Uhr, wir wollten doch gemeinsam in den Getränkemarkt fahren und danach vielleicht mal in der Werkstatt vorbeifahren. Er hat den Verdacht, dass an der Hinterachse ein Radlager defekt ist. Das Auto ist total laut. Komisch wie der Bürostuhl. Komm, vergiss es. Es gibt keine Zusammenhänge auf der Welt. Was habe ich damit zu tun, ich habe Informatik studiert. Ich meine mit dem Radkasten. Er hat mir eine gescheuert, als er die Zettel gesehen hat. Aua! Na, dann fahr doch alleine zum Getränkemarkt du Charakterschwein, du Grobian, habe ich ihn angebrüllt. Nachher beim Abendessen habe ich ihn gar nicht anschauen können, so geschämt habe ich mich. Es tat mir so leid, und meine Mutter hatte Harzer Rolle in Sahne und Essig und Zwiebel eingelegt und mein Bruder hat erzählt, dass er jetzt nicht nur die B-Jugend sondern auch die A-Jugend trainiert, und dass in diesem Jahr drei Nachwuchsspieler aus Sommerau in die Auswahlmannschaft Unterfranken kommen. Aber ich unterbreche ihn. Jetzt halt doch mal den Schnabel, Matthias, Vater, es tut mir leid, ich wollte dir heute morgen keine scheuern. Aber ich will, dass du meine Gefühle respektierst. Als mir mein Bruder dann ein eingelegtes Käsestück ins Gesicht gepresst hat, die Soße lief mir bis in den Kragen, das war unangenehm!, bin ich weinend in den Garten gerannt. Jetzt komm doch zurück. Sei nicht eingeschnappt. Leckt mich, ihr herzlosen, ihr, ihr...! Nicht so, Tobias, nicht in dem Ton, ja? An dem Abend habe ich bis in den Morgen Online-Schach gespielt. Jetzt bin im Blitz endlich mal wieder über einem rating von 1650. Eigentlich kann ich das doch besser.

Mein Leben ist schlimm. Aber das ist mir jetzt alles egal. Jetzt ist mir gerade bisschen Spucke auf den Teppich getropft. Yeah, yeah, yeah. Das kann ich mitsingen. Ich will jetzt wissen, was dass für eine Welt ist, bevor ich aufhöre, mich vor mir selbst zu blamieren. Ich habe genauso viel Energie wie Avril! Wie kriege ich die da nur raus? Wie kriege ich die nur, ach, das habe ich doch schon gesagt. Ich bilde mit beiden Händen eine Faust und strecke die Arme aus und gehe mit der Musik. Ich kann den Text nicht. Ich finde, dass trifft auf alles zu, was ich bin und mache: Ich kann den Text nicht. Wie sagt man so buper: ganz im übertragenen Sinne. Ich lebe, laufe durch die Straßen, flüchte vor der Polizei, gehe auf die Toilette, springe über den Zaun und kann den Text nicht, ist nur in der Fantasie, aber egal, im Fitnessstudio an der Theke, was willste denn für einen Geschmack, Erdbeere, Schoko? Kirsche habe ich heute morgen neu reingekriegt. So durchtrainiert wie der wäre ich gerne. Stimmt nicht, ich finde das so übertrieben! Igitt, der isst 400g Hühnchenbrust pur. Sogar kalt! Was soll ich den jetzt für einen Geschmack wählen. Ist mir doch egal. Sag halt was, Mensch. Aber ich kann den Text nicht. Ich will ihn nicht können. Das ist der Punkt.

Ich bin jetzt aber müde. Vorhin habe ich mir nämlich noch einen Boxbeutel, so nennt man eine bestimmte Flaschenform fränkischer Weinmacher, Jahrgang 2007, hoffentlich schimpft meine Mutter nicht mit mir, so teuer kann der ja wohl nicht gewesen sein, hoch geholt, aus dem Keller, und zum Glück ist mein Bruder gerade über Wochenende bei seiner Freundin. Mein Zimmer ist genau neben Mamas. Das erste, was ich morgen mache, ist meine Mutter auf Arbeit anrufen, und sagen, dass ich einen neuen kaufen werde. Ich habe noch 6 Euro klein, weil die Busfahrt nach Hösbach heute nur 4,15 gekostet hat. Ich meine, oder habt ihr den auf eurem Urlaub im Schwarzwald gekauft? Ich bin jetzt müde davon geworden. Und ich kann meine idiotischen Illusionen nicht mehr aufrecht erhalten. Avril nervt mich langsam. Habe ich dazu das Recht? Aber sie nervt mich nicht halb so sehr wie ich mich selbst. Ach, du nervst mich gar nicht. Verzeih mir, Avril.

Liebes Tagebuch, schlaf gut, morgen haben wir einen langen Tag vor uns. Hoffentlich spiele ich nicht wieder den ganzen Tag Schach. Online-Schach ist für mich mein persönliches Fernsehen. Fernsehen ertrage ich gar nicht. Ich bekomme Durchfall davon oder naja, es drückt auf alle Fälle ziemlich. Aber Schluss jetzt. Huch, es ist schon fast halb zwei!
Ich habe einfach keine Lust mehr mitzumachen. Ich denke ich wäre gerne obdachlos und alleine. Es reicht, wenn ich in meiner Fantasie ein Idiot bin. Morgen werde ich die Zettel abhängen.

Golem auf Quecksilberplatte.

Unten zu sehen: Selbstportrait als geschichteter, spazierengehender Totholzbestand im binär-toxischen Wolkenwald.
Es handelt sich um eine erneut vollkommen übertrieben bearbeitete Fotografie im Anschluss an die Aufwendung skulpturaler Gestaltungsarbeit in einem auszugsweise dargestellten Forstgebiet im Spessart. Es wird Frühling.
selfportrait. photo in forest and weather.

Gestohlener Farbholzschnitt wieder aufgetaucht!

"White noise" - Unterwasseraufnahme im Kaspischen Meer.

Tränengussform

Manchmal sind wir traurig. Die Dinge werden sich entwickeln ohne uns danach zu fragen. Manche Teile der Vergangenheit, mitunter die schönsten, verblassen, lassen uns im Stich, und später wenn wir im Leben darauf zurückkommen, ist nichts mehr da, alles ist im Arsch. Wir hatten niemals etwas unter Kontrolle und dann werden wir auch noch traurig, und fragen uns, hat es denn einen Grund, in dem Sinn, dass wir es uns nur vormachen, dass wir traurig sind. Das ist dann schon mal scheiße, denn dann sind wir nicht tieftraurig. Wenn wir traurig sind, weil wir eigentlich etwas bereuen, und uns aber verarschen wollen, weil wir uns cool finden zum Beispiel. Wenn wir traurig sind, wenn wir Fehler gemacht haben. So ein Schrott. Normalerweise machen wir keine Fehler. Zumindest nicht solche. Jetzt hat man aber doch einen gemacht. Etwas was mit Menschen zu tun hat. Und Verantwortung übernehmen ist uns nicht auf uns selbst bezogen genug zum Beispiel. Was ist der richtige Weg? Bei jedem Grund: Traurig sein, und erst gar nicht versuchen, dass ganze in den Trockendock in der Werft für Aufbau von Erfahrung legen. Wir denken nicht über uns nach, wir sind traurig. Immer brav traurig sein. Immer wieder bei solchen Gelegenheiten, wenn wir zum Beispiel jemanden aus Fahrlässigkeit oder gar Faulheit Schaden zugefügt haben. Und dabei mit den Jahren einen astreinen sentimentalen, melancholischen Charakter entwickeln. Wir können die Welt nicht ändern. Sie ist ein Tränensack. Und es is total warm dadrin. Da werden wir ja richtig gemütlich und müde! Voll gut kuscheln!
Nein. Wir dürfen auch Gründe haben traurig zu sein, aber nicht alle. Wenn es von innen kommt, ist es okay, sagt Dr. Sadsky, Arzt für Ausscheidungen aus D-42531 Remscheid. Aus der Milz heraus oder dem Darm. Wenn es in nicht zu kleinen Kötteln kommt oder zu milchig, zu angedaut. Wenn ein elektronischer Milchzerstäuber für latte macchiato darin zum Stocken kommt, ist es zu hart. Aber zur Sicherheit den Aufladestatus der Batterie überprüfen. Oder. Wenn man die Pumpe in der Schluckvorrichtung spürt und der Mund trocken ist, weil alles in Traurigkeit umgewandelt wurde. Traurigkeit ist in Wirklichkeit entsprechend umgewandelter Speichel. Wenn die Beine so schwer sind wie der Rest des Körpers und umgekehrt. Wenn einem die Schluckvorrichtung schmerzt, und das obwohl man gerade sein Lieblingssüßwasserfischmus frisst.

Können wir heutzutage, wir meinen, in unserem Alter, bei unserem Erfahrungsschatz und der ganzen charakterlichen Reife, mit der wir mittlerweile im Spiel sind, eigentlich noch traurig sein? Es gibt dazu ein altisländisches Sprichwort und das wollen wir jetzt wissen. Es lautet (sinngemäß), dass nur Kinder und bestenfalls Heranwachsende traurig sein können. Gut. Wir haben schon zuviel Realität gesehen und zuviel Schmerz, die Depots zur Generation trauriger Zustände sind versiegt, wir haben die wildesten Emotionen hinter uns gebracht, haben gekämpft, sind daran zerbrochen und wollten nicht aufgeben, stumpften also ab, haben uns eine flache Frisur zulegt und einen dachsgrauen Blick, haben auf unsere Lider die geilen neuen Regenreifen von Vredestein aufgezogen und rutschen jetzt nicht mehr aus, wenns mal pisst. Wir sind nur noch Beobachter, wir nehmen am Leben nicht mehr teil.
Aber es gibt noch ein Sprichwort. Ein altserbisches. Es lautet, nur der Greis, der alte Mensch, ist wirklich traurig. Man braucht die Erfahrung, um wirklich traurig sein zu können. Man muss auf das Elend zurückblicken, es mit dem Gegenwärtigen messen, und dann überwältigt es einen. Niemand ist so traurig wie meine Oma. Aber alle sind wir blind und können es nicht sehen. Worüber soll ein Kind denn auch traurig sein. Es hat nichts erlebt, weiß noch nichts vom Glück und von der Abfalldeponie, wo es manchmal stinkt. Es kann ja nur leeres Gefühl haben, reine Biologie, Tränenflüssigkeitsabfuhr zur Regulierung des innerkindlichen Wasserhaushalts, mein Gott, es war zu wenig Kochsalz im Kind, ja, was sollten wir denn machen, wir hatten ja nichts, also haben wir es weinen lassen.
Jedenfalls, wer hat den jetzt recht? Island oder Serbien. Wollt ihr uns umzingeln? Ach ich denke es handelt sich hier um keine nationale Frage, sondern um eine Frage der wirtschaftlichen Zusammenarbeit. Wir m ü s s e n gewährleisten, dass der Endverbraucher wieder Vertrauen in den Markt hat. Wir müssen auch für den Mittelstand Investitionsanreize schaffen, die den Standort ökonomisch attraktiv machen und für eine Verbesserung des Geschäftsklimas sorgen!
Sicher ist wenigstens aber dann, dass Menschen mittleren Alters niemals traurig sein können, oder? Nein, nein. Denn es gibt ein altfranzösisches Sprichwort. Wir sind neugierig. Wie lautet es denn? Nur Menschen mittleren Alters können traurig sein. Ja, genau, die Mischung, die ausgewogene Balance der differenten Sorten, die mixtura estremadura aus Erfahrung, Lebenswandel, Freud und Leid, Erlebnisgastronomie und Schweinestall u n d Unbefangenheit, Unberührtheit, Natürlichkeit, Echtheit, eigenem Universum, Autonomie, meine erste eigene Blume. Nur so kann man wirklich traurig sein.

Aber wenn wir jetzt darüber nachdenken, spekulieren, was traurig sein ist, dann können wir nicht mehr traurig sein. Wenn wir als Menschen die Möglichkeit haben, kraft unseres Geistes, zu reflektieren, wie es uns geht, dann geht es uns anders, bevor wir wissen wie es uns denn jetzt geht. Das ist genau so wie bei Musik oder Kunst. Wenn wir die Sonaten musikwissenschaftlich analysiert habe, können wir nicht mehr darin versinken, wir müssen die ganze Zeit an den Trugschluss und den vertrackten Harmonieskandal dieser dreiteiligen Liedform denken. Oder wie bei leckerer Literatur. Wenn wir sie analysiert (ppfff) haben, können wir gar nicht mehr wirklich darin abkacken und uns durch die Seiten treiben lassen, denken an die Intertextualitäten aufgrund der Jugendfreundschaft des Autors mit dem Dramaturgen Krätzflock und an den tragischen, frühen Tod der Schwester des Dichters - gerade als er in der Arbeit an seinem Hauptwerk steckte und jüngst bei Ferdinand Schwerdthagen am Pariser Konservatorium durch das Klarinettenexamen geflogen ist. Wir können gar nicht mehr durch die Seiten springen, als wären wir selbst der Schreibkopf der Schreibmaschine, mit der sie geschrieben wurden. Gefügig, neugierig und wild at heart.

Wir können uns das Hirn zermatern bis uns ischämisch wird. Und wir haben auch keine Lust mehr. Gerade jetzt, wo wir noch gar nichts gesagt haben. Wo gerade ein paar Aspekte auch nur unzulänglich angedeutet wurden.
Nein. Nein. Die Rationalistin kann nicht traurig sein, denn sie ist nicht, weil sie fühlt, sondern weil sie denkt. Also doch? Eigentlich ist sie uns egal, denn sie ist, denn sie ist, ja, ja, ratio-anal.
Die Empirikerin weiß, dass Traurigkeit nicht messbar ist. Aber die soll erst mal ihr Messgerät mit genau diesem Messgerät messen, bevor wir weiterreden.
Die Ontologin weiß, Welt oder Traurigkeit. Nur eines kann existieren. Denn Traurigkeit hat keine Eigenschaften. Und das einzige was keine Eigenschaften hat, das ist das Sein. Traurigkeit als Unterkategorie von Sein kommt nicht in Frage, denn nur Seiendes hat Unterkategorien. Familie, Gattung, Art von Traurigkeit. Was soll das sein? Das Seinsseiende kann bestenfalls traurig sein. Aber wovon? Von einem Dasein? Aber laut Ontologin gibt es sowieso nur ein einziges Gefühl. Sie legt alles zusammen, Freude, Lachen und Weinen, und Stickstoff und Sauerstoff, und Enge und Weite und sich in höhere Widersprüche "auflösende" Widersprüche und bis sie stirbt, soll das Gemisch so intensiv sein wie die Sonne, damit sie gelebt hat und Mensch gewesen ist. Das ist ihr moralischer Imperativ. Werde intensiv.
Und was weiß ich? Ja, was weiß ich. Manchmal ist halt blöd, das alles. Arbeitshandschuhe und Clownsnase anziehen. Weitermachen und aufhören, wenns genug ist. Viel erleben. Alles mal anfassen und sich dafür aufrichtig entschuldigen und erst reden, dann denken, wenn ich zum Beispiel nach oben sehe, Analyse zerstöre Gefühl und Möglichkeit der Kontemplation. Das halte ich für Quatsch. Natürlich kann man Tränen auf Millimeterpapier tropfen lassen.